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Arbeitsalltag als Abgeordneter:
Montag ist Bürotag

9.00 Uhr

Anruf bei meinem Referenten Dirk Schrödter in Kiel. Wichtige Presseberichte der überregionalen Zeitungen hat er mir inzwischen gefaxt. Er ist einer von zehn Referenten der Fraktion und sozusagen mein Finanzministerium. Der Finanzminister selbst hat übrigens 250 Mitarbeiter in seinem Ministerium, die ihm zuarbeiten. Kurze Abstimmung, was zu tun und für den Tag oder die Woche vorzubereiten ist.

9.30 Uhr

Dann geht es an die Arbeit: Heute will ich die Stellungnahme der Fraktion zur Fusion der Landesbanken Schleswig-Holstein und Hamburg erarbeiten. Das braucht Ruhe und Konzentration. Schön wäre es, wenn ich auch noch die Eckpunkte für die Gemeindefinanzen wenigstens anfangen könnte. Das muß in vier Wochen in den Landesvorstand und anschließend dem Landesausschuss vorgelegt werden. Zeit habe ich bis etwa 17.30. Um 18.30 Uhr ist ein Gespräch mit Herrn … in Großhansdorf verabredet, um 20 Uhr ist eine öffentliche Veranstaltung in Glinde.

11.00 Uhr

Inzwischen ist die Post eingetroffen. Schriftliche Post beantworten, E-Mails beantworten, Vorlagen lesen, Regierungsmitteilungen prüfen. Stellungnahmen zur Regierungsvorlagen stichwortartig erarbeiten. Anträge für den Fraktions-Arbeitskreis oder die Fraktion formulieren. Pressemitteilungen konzipieren. Termine abstimmen. Stichworte für Reden vorbereiten. Dabei verhält es sich mit den Reden und öffentlichen Auftritten wie mit der berühmten Spitze des Eisbergs: der größte Teil der dahinter stehenden Arbeit ist unsichtbar.

12.30 Uhr

Anruf meines Wirtschaftsleiters im verdi Bildungs- und Tagungszentrum Walsrode, Hanns-Carsten Höfner. Wir müssen dringend über die vorgesehenen Investitionen sprechen, über ein paar notwendige Personalentscheidungen, über den letzten Quartalsabschluß und über die Eckwerte zum Haushalt des nächsten Jahres – in zwei Wochen ist die Konferenz der Bildungsstättenleiter.

14.00 Uhr

Anruf eines Journalisten einer überregionalen Zeitung. Er hat gehört, dass es da eine vertrauliche Vorlage der Landesregierung für den Finanzausschuss geben soll zum Thema … Können Sie mir da mal helfen? Das ist doch wohl ein Knaller. Was sagen Sie denn dazu? Und was wollen Sie unternehmen? Name, Thema und Reaktion lassen wir hier mal weg.

15.30 Uhr

So! Die Stellungnahme der Fraktion zur Fusion der Landesbanken Schleswig-Holstein und Hamburg ist im Entwurf fertig.

Fünf Seiten Text. Ein paar wichtige Daten. Eine kurze Zusammenfassung für den Vortrag im FAK, im Fraktionsvorstand und in der Fraktion. Stichworte für eine Pressemitteilung. Damit bin ich selbst zufrieden. Ein paar kurze Bearbeitungshinweise für Dirk Schrödter dazu. Bitte kritisch lesen. Nach logischen Brüchen in der Argumentation fahnden. Zahlen nachrechnen. Notfalls Rücksprache. Vorlagen für die Gremien daraus machen. Ab die Post – per E-Mail an ihn.

Der Magen knurrt. Ich sollte doch zwei Liter Wasser am Tag trinken! Ich mache mir einen Cappuccino. Da ist auch Wasser drin.

15.45 Uhr

Anruf von Dirk Schrödter: Die Bearbeitungshinweise hat er erhalten – aber die ganzen Anlagen fehlten bei der E-Mail. Ich Dussel habe die Anlagen nicht mitgeschickt!

Anruf von unserem Parlamentarischen Geschäftsführer Heinz Maurus – auf allen Leitungen gleichzeitig. Festnetz, Handy und Fax. Alarm. Die Ministerpräsidentin und der Finanzminister haben kurzfristig zu einer Pressekonferenz für 16 Uhr eingeladen. Nachtragshaushalt angekündigt. Was machen wir? Kannst Du kommen? OK. Der Pressesprecher versucht, einen O-Ton beim NDR Fernsehen Schleswig-Holstein Magazin, NDR Info und NDR 1 Welle Nord zu kriegen. Gegen 17 Uhr kann ich da sein. Herr Schrödter soll schon mal eine Presse vorbereiten und mir den Regierungstext per Autotelefon durchgeben, sowie der draußen ist. Schweinerei. Diese Leute haben überhaupt keinen Stil. Wer so lange regiert, hat es offensichtlich nicht mehr nötig, wie es sich gehört zuerst das Parlament und dann die Öffentlichkeit zu informieren.

16.00 Uhr

Alles stehen und liegen lassen. Schnell noch mal auf meiner Internetseite nachgucken. Mit welchen Argumenten habe ich da kürzlich einen Nachtragshaushalt verlangt? Mit welchen Argumenten hat die Regierung das abgelehnt? Gott sei Dank, gibt es meine Internetseite! Ab ins Auto. Aber Achtung: Tempomat einstellen. Der Punktestand ist schon bedenklich.

Unterwegs – Großhansdorf anrufen. Termin canceln. Wo ist die Nummer? Natürlich nicht gespeichert. Aktentasche ans Lenkrad. Anschriftenverzeichnis der CDU durchblättern. Da ist sie. 04102 ….. Keiner da. Büro in Bad Oldesloe anrufen. Sven, verständige bitte irgendwie … in Großhansdorf, dass ich nicht kommen kann.

Anruf von Torsten Haase, unserem Pressesprecher. O-Ton Fernsehen und Rundfunk ist ok. Möglichst bald gegen 17 Uhr, weil das alles noch ins Studio und geschnitten werden muß. NDR Info soll um 17.30 Uhr laufen, Welle Nord um 18 Uhr. SH-Magazin wie immer um 19.30 Uhr. Kann knapp werden. Alles klar. Wird schon. Dirk Schrödter in der Leitung. Also, die wollen zu den schon im Haushalt geplanten 580 Millionen weitere 620 Millionen Schulden aufnehmen. Und was wollen die damit machen? Ein Dutzend Restposten, z.B. Personal und Sachkosten im Justizbereich, ein paar fehlende Millionen bei Verwaltungskosten, ein bisschen was bei den Sozialen, keine richtige Maßnahme, so ein richtiger Lumpensammler. Investitionen? Keine vorgesehen. Begründung? Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Wie soll das denn gehen? Rot-grüne Logik. Meine Stichworte an ihn für die Vorbereitung einer eigenen Mitteilung: Liederlicher Umgang mit der Verfassung. Wiegard verlangt umgehende Sitzung des Finanzausschusses. CDU prüft Klage in Karlsruhe.

17.10 Uhr Landeshaus – Tiefgarage

Schranke. Ruftaste. Pförtner. Wiegard hier, ich stehe an der Schranke. Schranke geht auf. Einparken. Zum Flur. Wo ist die blöde Zutrittskarte? Vereinzelungsschleuse. Die Tür geht auf, ich stehe wohl nicht richtig auf dem Fleckchen. Bitte stellen Sie sich auf die markierte Fläche oder verlassen Sie unverzüglich die Schleuse! Die Schleusentür geht zu. Die andere Tür geht auf. Fahrstuhl.

Unser Büro 225. Dirk Schrödter drückt mir die Presse der Landesregierung in die Hand. Schnell überfliegen. Das ist wirklich ein starkes Stück. Soviel Abgebrühtheit hätte ich nicht. Na ja – nach 16 Jahren Regierung will ich das mal nicht absolut ausschließen. Deshalb bin ich ja auch dafür, dass ein Regierungschef nicht länger als zehn Jahre im Amt sein darf. Torsten Haase legt mir die eigene Pressemitteilung vor. Zwei, drei kleine Anmerkungen von mir. Einfacher formulieren. Nicht immer diese technokratischen Finanzausdrücke. Zum Beispiel ‚Neue Schulden’ statt ‚Nettokreditaufnahme’. Wo sollen die Interviews gemacht werden. Fernsehen vor dem Sitzungssaal der Fraktion. Rundfunk im Büro des Pressesprechers. Also los. Einmal rund um den Innenhof auf die andere Seite.

17.20 Uhr Flur vor dem Faktionssitzungssaal

Reporter, Kameramann, Beleuchter. Hallo, Herr …, da kriegt Ihr ja richtig Stoff heute zusammen – wie lang? Höchstens 18 Sekunden. Wieviel? 18! Na, das lohnt sich ja wenigstens. In der Zeit könnte ich glatt den gesamten Haushalt erläutern. Kamera läuft. Ton ab. Herr Wiegard, die Landesregierung hat heute … Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang und schon wieder ein liederlicher Umgang mit unserer Verfassung. Wieder wird die Verwaltung rot-grüner Politik mit neuen Schulden bezahlt. Und die müssen von Generationen zurückgezahlt werden, die heute noch gar nicht geboren sind. Wir brauchen aber Investitionen in die Zukunft statt Zinsen für die Vergangenheit. So fördert die Landesregierung kein Wachstum und keine Arbeitsplätze. Deshalb ist dieser Akt verfassungswidrig. Ich verlange unverzüglich eine Sitzung des Finanzausschusses. Die CDU wird eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht prüfen. Licht aus. Kamera aus. Danke, Herr Wiegard, wir müssen zum Sender. Ok, schönen Dank, Herr …

17.35 Büro des Pressesprechers

Durchsicht der korrigierten Textfassung für die Pressemitteilung. Kann so raus. Bringt aber wohl nichts mehr, außer für dpa. Die meisten Zeitungen sind im Druck. Und morgen ist das Schnee von gestern. So hat die Landesregierung das angelegt. Die Rundfunkaufnahme verläuft ähnlich wie vorher beim Fernsehen. Um 17.45 Uhr ist die Aktion beendet. Habt Ihr mal einen frischen Kaffee? Und vielleicht noch ein Brötchen oder ein Stück Kuchen? Danke an den Referenten und den Pressesprecher für Eure Hilfe.

18.00 Uhr – NDR Info

Ausführlicher redaktioneller Bericht über die Pressekonferenz der Landesregierung mit O-Ton der Ministerpräsidentin. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den Vereinigten Staaten und Japan gehen in einer weltweit verzahnten Wirtschaft auch an Schleswig-Holstein nicht spurlos vorüber. Die Steuereinnahmen sind drastisch eingebrochen. Das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht ist gestört. Deshalb ermöglicht die Verfassung, jetzt mehr Schulden aufzunehmen als ursprünglich geplant. Der Kollege von der FDP und ich werden jeweils mit einem kritischen Satz zitiert, aber kein O-Ton von uns.

18.30 Uhr auf dem Weg nach Glinde

Der Ortsvorsitzende hatte mich gebeten, in einer öffentlichen Veranstaltung über die Finanzlage des Landes zu berichten. – Das Gespräch in Großhansdorf ist abgesagt. Also ein bisschen Zeit. Tempomat auf achtzig. Telefon aus. Radio aus. Ruhe.

19.55 Uhr Bürgerhaus in Glinde

Etwa dreißig Gäste sind da. Freundlicher Empfang. Eberhard Schneider begrüßt. Ich rede etwa 25 Minuten, natürlich zu lange. Trotzdem hören alle aufmerksam zu. Über die dramatisch zunehmende Verschuldung zu Lasten künftiger Generationen. Über die erdrückende Zinslast. Über die Entwicklung der Steuereinnahmen. Über immer weniger Investitionen. Fast halb so viel wie zu Stoltenbergs Zeiten! Über die 60 Arbeitsplätze, die jeden Tag in unserem Land verloren gehen. Über die Bildungschancen, die unseren Kindern im Vergleich zu anderen Bundesländern vorenthalten werden. Und über unsere Lösungsansätze dazu. Schluß mit immer neuen Schulden. Weg mit dem Paragraphenmüll. Alle Kraft für Arbeit und Bildung!

Wie wir uns vorstellen, in den nächsten fünf Jahren 2000 Stellen in den Ministerien einsparen zu können. Dass wir dazu vorhaben, jede zweite Verordnung aus dem Verkehr zu ziehen. Wie wir in größerem Umfang Konsumausgaben in Investitionen umwandeln werden, um kommunale und private Investitionen zu stimulieren und damit Wachstum und neue Arbeitsplätze zu erreichen. Dass Umwandeln konkret Kürzen heißt. Wie wir jeden durch Ausgabenkürzung ersparten und durch wieder wachsende Steuereinnahmen erwirtschafteten Euro in die Senkung der Neuverschuldung und die Bildungschancen der jungen Generation stecken werden. Und was wir noch brauchen: Steuerrefom. Gesundheitsrefom. Arbeitsmarktreformen. Vorgetragen ohne Aggressivität. Zustimmender Applaus. Lebhafte Diskussion. Am Ende eine Frage: Warum machen Sie eigentlich keine Pressearbeit über ihre Vorstellungen? Ende der Veranstaltung 22.15 Uhr.

22.50 Uhr Zuhause

Hallo Liebes. Bist Du schon lange da? Eine halbe Stunde – wie war Dein Tag? Ein abwechslungsreicher Tag eines Abgeordneten, dem schönsten Beruf, den es gibt. … Ulli Wickert kündigt das Wetter von morgen an. Und so machen wir uns noch eine Flasche Regent vom Weingut Heinrich Groh in Bechtheim auf. Klönen über dies und das. Gegen Viertel nach eins ist der Tag beendet. Gute Nacht.

Ministerarbeitstag Aus dem Archiv:
Abgeordnetenarbeitstag bis 2005