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Mitteilung vom 23. September 2010Bundessymposium des Wirtschaftsrates bei der Deutschen Bank in Berlin

Finanzminister Rainer Wiegard beim Wirtschaftsrat in Berlin: Vergangenheit frisst Zukunft auf.

Ich grüße Sie als Bürger der schuldenfreien Stadt Bargteheide, der einzigen schuldenfreien Stadt in Schleswig-Holstein, und damit zugleich als Bürger des Bundeslandes mit der zweithöchsten Verschuldung aller Flächenländer in Deutschland.
Das ist die Bandbreite über die wir heute hier diskutieren.
Während meine Heimatstadt vor wenigen Jahren noch jährlich mehr als eine Viertelmillion Euro für Zinsen bezahlt hat, baut sie stattdessen heute mit diesem Geld Krippen- und Kindergartenplätze, erweitert Wohn- und Gewerbeflächen, bietet Raum und Gelegenheit für Schule, Freizeit, Sport und Kultur.
Sie schafft damit die erforderliche Infrastruktur für die junge Familie, die in Zukunft ihre familiären und beruflichen Aufgaben miteinander vereinbaren kann. Sie schafft die Voraussetzungen dafür, dass junge Eltern eine berufliche Tätigkeit ausüben können, für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen, Vorsorge für ihr Alter treffen und zugleich neues Leben in behüteter Umgebung ermöglichen.
Meine Heimatstadt gibt damit der Zukunft eine wirkliche Chance.

In meinem Heimatland dagegen muss ich zunächst die Vergangenheit bedienen.
Jeden dritten SteuerEuro brauchen wir zuerst, um die Zinsen für alte Schulden zu bezahlen und die Pensionsversprechen an Beamte einzulösen, wofür in deren aktiver Dienstzeit keine Vorsorge getroffen wurde.

Und die Zeitbombe Staatsverschuldung tickt zunehmend lauter.
Bei meinen ersten zaghaften Berührungen zur Politik – zunächst zur Kommunalpolitik 1970 – hatte Schleswig-Holstein gut eine Milliarde Euro Schulden am Kapitalmarkt. Heute 27 Milliarden Euro. In 40 Jahren sind also 26 Milliarden hinzu gekommen. In diesen 40 Jahren haben wir allerdings auch 26 Milliarden Euro Zinsen für diese Schulden bezahlt. Das heißt, wir haben gar nichts davon gehabt. Nur dies: Die Zinsen sind weg. Aber die Schulden sind immer noch da. Und die müssen immer weiter mit Zinsen bedient werden. Anstatt dafür unsere öffentliche Infrastruktur für die Zukunft auszubauen, wie das meine Heimatstadt Bargteheide so erfolgreich vormacht. So frisst Vergangenheit Zukunft auf.

1990 musste Schleswig-Holstein weniger als ein Viertel des Steueraufkommens für Zinsen und Pensionen aufwenden. Heute ein Drittel. Und in zehn Jahren – und nur dann, wenn wir ganz konsequent unseren eingeschlagenen Konsolidierungskurs umsetzen – in zehn Jahren wird dieser Anteil bereits über 40 Prozent liegen.
Für Zukunft ist da wenig Raum.
Ich frage mich heute: Wie ist es eigentlich möglich, über einen so langen Zeitraum jedes Jahr neue Schulden auf die alten drauf zu packen? Überall in Deutschland. Und natürlich auch darüber hinaus. In keinem einzigen Jahr netto etwas zurück zu zahlen. Um es mit Axel Springer zu sagen: Und kein Aufschrei ging durch unser Vaterland!?

Ob wir nun eine Straße bauen oder eine Schule, ob wir Wirtschaft oder Forschung fördern, ob wir soziale oder kulturelle Leistungen verteilen – in Wahrheit sind wir doch nur die Besteller dieser Leistungen. Wir unterschreiben einen Kreditvertrag – die Bezahlung überlassen wir künftigen Generationen.

Als ich vor zehn Jahren in den Schleswig-Holsteinischen Landtag kam, habe ich für meine Fraktion einen Masterplan zum Abbau der Neuverschuldung unseres Landes geschrieben. Damals hatte ich formuliert: „Wir müssen künftig jede einzelne öffentliche Aufgabe sehr sorgfältig daraufhin untersuchen, ob sie für die zukünftige Entwicklung unseres Landes von derart großer Bedeutung ist, dass der Staat dafür auch Kredite aufnehmen darf.“

Inzwischen ist in mir die Erkenntnis gereift, dass diese Maßgabe völlig falsch war. Denn ich habe erkennen müssen, dass sich in jedem einzelnen Fall immer eine Mehrheit dafür gefunden hat, diese Bedeutung zu bejahen. Übrigens bis in die letzten Monate, Wochen und Tage hinein, wenn Sie die politische Debatte aufmerksam verfolgen. Und deshalb bin ich zu der festen Überzeugung gekommen, die seit geraumer Zeit Leitmotiv meines Handelns ist: Niemand hat das Recht – keine Regierung und kein Parlament – heute noch nicht geborene Generationen mit Schulden zu belasten, um sich jetzt einen besseren Lebensstandard leisten zu können.

Dazu brauchte es auch eigentlich keine Verfassungsvorschrift. Der gesunde Menschenverstand und die vier Grundrechenarten müssten dafür eigentlich ausreichen. Und die jüngere Vergangenheit zeigt ja auch, dass Verfassungsregeln nicht davor schützen, schlicht ignoriert zu werden. Verfassung ist das eine. Verfasstheit ist das andere. Denn auch bisher gab es eine Schuldengrenze. Aber als ich 2005 das Finanzressort übernommen habe, hatten meine Vorgänger neun Jahre in Folge in jedem Jahr mehr Schulden aufgenommen als eigene Investitionen und Vermögensentnahmen getätigt.
Und für die laufende Haushaltsplanung hatten sie schlicht die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts erklärt, obwohl drei von vier Parametern des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes – Geldwertstabilität, wirtschaftliches Wachstum, Außenhandelsgleichgewicht positiv waren, lediglich Vollbeschäftigung war nicht erreicht. Aber das war keine neue Entwicklung.

Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass wir – neben der reinen Lehre der Verfassung – vor allem eine Mehrheit der Menschen in Deutschland immer wieder neu davon überzeugen müssen, dass wir nicht heute auf Kosten der Zukunft leben dürfen.
Deshalb ist Transparenz über die tatsächliche finanzielle Lage wichtig, die objektive Beschreibung der Entwicklung, die zu dieser Lage geführt hat und die klare Ansage über den notwendigen Weg, der zu gehen ist.

Bei den Konsolidierungsmaßnahmen stöhnen wir auf allerhöchstem Niveau. Dabei bin ich der Meinung – wenn da so viel vom Sparen geredet wird: Wir müssen gar nicht sparen. Jedenfalls müssen wir nicht sparen in dem Sinne, dass wir auf etwas verzichten müssen, das uns ja eigentlich zusteht.
Wir müssen nur mit dem auskommen, was wir selbst erwirtschaften. So einfach ist das. Und das hat mit Sparen nichts zu tun.

Wir in Schleswig-Holstein haben unser Konsolidierungskonzept in der genannten Reihenfolge aufgestellt.
Wir haben die finanzielle Lage unseres Landes – übrigens seit Beginn unserer Regierungszeit – ungeschminkt, vollständig, umfassend und transparent dargestellt.
Wir haben die wesentlichen Entwicklungen, die zu dieser Lage geführt haben, aufgezeigt.
Wir haben die neuen Ziele in der Landesverfassung verankert.
Und wir haben unseren Konsolidierungskurs klar beschrieben.
Wir begrenzen die Ausgaben durch Kürzen bestehender Leistungen in allen Bereichen; bei sozialen Leistungen, der Landwirtschaft, der Wirtschaftsförderung der Kultur.
Wir reduzieren unseren Personalbestand um weitere zehn Prozent oder 5.300 Stellen.
Während unsere Allgemeinen Deckungsmittel um gut drei Prozent jährlich steigen, werden wir die Ausgaben lediglich um gut ein Prozent wachsen lassen.
Aber wir müssen vor allem auch unsere Stärken entwickeln. Deshalb gehen wir nicht mit dem Rasenmäher über unseren Haushalt.

Schleswig-Holstein hat in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre den Anschluss an die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland verloren. Zwar sind wir in den letzten drei Jahren bei Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit im Trend besser als der Bundesdurchschnitt, aber wir werden in den nächsten zehn Jahren regelmäßig eine überdurchschnittliche wirtschaftliche Entwicklung nehmen müssen, um den Anschluss an die anderen westlichen Bundesländer wiederzufinden.

Deshalb werden wir sehr konzentriert und zielstrebig
• die wirtschaftliche und wirtschaftsnahe Infrastruktur ausbauen – Forschung und Wissenschaft fördern
• die Bildungschancen für unsere Kinder verbessern – und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern
• unsere Verwaltung modernisieren – und die Zusammenarbeit insbesondere mit Hamburg deutlich intensivieren.

Aber ich sage auch ganz ausdrücklich: Für die Haushaltskonsolidierung reichen Ausgabenkürzungen und wirtschaftliches Wachstum allein nicht aus. Wir brauchen neben einem stetigen und verlässlichen Einnahmewachstum auch strukturelle Einnahmeverbesserungen.
Unsere Finanzplanung sieht deshalb zusätzlich zu der Fortschreibung der langfristigen Steuereinnahmen mit jährlich 2,5 Prozent auch strukturelle Einnahmeverbesserungen vor, um die negativen Auswirkungen zahlreicher Steuergesetze wieder auszugleichen.

Diese Einnahmeverbesserungen müssen vorrangig durch die konsequente Beseitigung von Ausnahmen und Vergünstigungen bei der Umsatzsteuer und der Einkommensteuer erzielt werden. Und dieser klare ordnungspolitische Ansatz muss begleitet werden von Maßnahmen zur Vereinfachung und damit zur Senkung von Bürokratiekosten für Unternehmen, Bürger und unserer Steuerverwaltung.
Darüber hinaus werden wir die Grunderwerbsteuer ab 2013 von 3,5 Prozent auf 5 Prozent anheben.
Und zur Sicherung der Gemeindefinanzen muss neben der Verstetigung der Steuereinnahmen der Gemeinden durch eine Reform der Gewerbesteuer vor allem auch die Grundsteuerreform zu einem Abschluss geführt werden.

Darüber hinaus gilt: Jeden Steuer-Euro, den wir über den langfristigen Durchschnitt hinaus einnehmen, setzen wir zur Tilgung der Schulden ein. Dieses Geld dient nicht – wie in der Vergangenheit – zur Finanzierung neuer Ausgaben.
Das alles bedeutet, dass es für die Senkung des Steuerniveaus keinen Spielraum gibt. Das heißt nicht, dass nicht in einzelnen Fällen auch Steuersatzkorrekturen erforderlich sein können. Aber sie dürfen insgesamt nicht zu einer Reduzierung des Steueraufkommens führen, wenn nicht zugleich die Aufgaben in entsprechendem Maße reduziert werden.

Ohne Anhebung des derzeitigen strukturellen Einnahmeniveaus ist der Ausgleich zwischen Einnahmen und Ausgaben nicht herzustellen. Nicht beim Bund und nicht bei den Ländern. In Schleswig-Holstein schon gar nicht.

Und: Wir gewinnen die politische Handlungsfähigkeit in allen Teilen Deutschlands nur zurück, wenn Bund, Länder und Kommunen in diesem Jahrzehnt mit eiserner Disziplin und solidarischer Verantwortung diese Aufgabe angehen.
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