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Mitteilung vom 26. April 2011Matthias Popien und Ralph Klingel-Domdey: Rainer Wiegard über den Zusammenhang von Mehrwertsteuersätzen und Currywürsten

Hamburger Abendblatt: Der Steuertraum des Ministers

Ahrensburg (23. April 2011) Entscheiden kann er in dieser Sache nicht, er kann Anstöße liefern. Und das tut Rainer Wiegard seit Langem. Der schleswig-holsteinische Finanzminister, seit sechs Jahren im Amt, dringt immer wieder darauf, die Steuergesetze zu vereinfachen. Das ist gerechter, findet der CDU-Landtagsabgeordnete. Und es hilft der Finanzverwaltung dabei, sich auf die Steuersünder zu konzentrieren, die hohe Summen am Fiskus vorbeischleusen. Dem einfachen Steuerbürger vertrauen, die großen Steuerhinterzieher gnadenlos verfolgen: Das ist ein wichtiger Punkt seines Konzepts. Die Regierungskoalition in Berlin hat ihn nicht aufgegriffen – noch nicht.

Hamburger Abendblatt:

Gelingt es Ihnen noch, eine Currywurst zu essen, ohne an die Mehrwertsteuer zu denken?

Finanzminister Rainer Wiegard:

Nein. Diese Currywurst-Geschichte zeigt deutlich, wie absurd die unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze sind. Wenn ich die Wurst im Imbiss kaufe und dort auch esse, werden 19 Prozent Mehrwertsteuer fällig. Wenn ich mir die Wurst einpacken lasse und sie ein paar Meter weiter auf einer Bank am Straßenrand verzehre, sind es nur sieben Prozent. Wenn ich mit der Wurst nebenan zum Bäcker gehe und mich hinsetze, sind es wieder 19 Prozent. Der Preis für die Wurst ist allerdings immer gleich, und ob beim Staat davon nun 19 Prozent oder sieben Prozent ankommen, kann keiner kontrollieren.

Und deshalb wollen Sie die Mehrwertsteuerregelungen vereinfachen?
Wiegard:

Wir haben vor knapp anderthalb Jahren, als die neue Bundesregierung ins Amt kam, ein intensives Gespräch über Steuerpolitik geführt. Ich habe gesagt: Wir sollten uns die Mehrwertsteuer vornehmen. Dann hat man sich entschlossen, die Gewerbesteuer aufs Korn zu nehmen. Meine Meinung war: In einer langsam anziehenden Konjunktur wird es schwer sein, die Kommunen zu einem Verzicht auf die Gewerbesteuer zu bewegen. Jetzt haben wir den Salat: Bei der Gewerbesteuer kommen wir nicht richtig weiter. Wir müssen das in seiner Gesamtheit angehen. Das Steuersystem greift ineinander. Deshalb halte ich nichts davon, hier eine Mehrwertsteuerkommission und da eine Gewerbesteuerkommission aufzumachen. Wir brauchen eine steuerpolitische Perspektive.

Wie könnte die aussehen?

Wiegard:

Wir müssen die Frage beantworten: Wollen wir ein System, das dem Staat die notwendigen Einnahmen sichert? Oder wollen wir mit Steuerpolitik das Verhalten der Menschen lenken? Dazu ist es ja immer mehr verkommen. Wenn wir die Perspektive haben, uns auf die Finanzierung der staatlichen Aufgaben zu beschränken und dies möglichst einfach zu organisieren, brauchen wir einen zeitlichen Rahmen von vielleicht zehn Jahren zur Umsetzung der Maßnahmen. Es muss aufhören, dass Montag der eine Politiker sagt: Wir wollen Steuersenkungen und Dienstag der Bundesfinanzminister sagt: Wir haben aber kein Geld. Dann ist 14 Tage Ruhe, dann geht es wieder von vorn los. Dieses Spiel machen wir jetzt schon geraume Zeit. Alle gucken auf die Uhr und fragen, wann die nächste Wahl ist und was wir bis dahin noch mal schnell machen müssen. Von dieser Denke müssen wir wegkommen.

Dann bräuchten wir jetzt also eine Partei, die ein solches Konzept entwirft und damit in den Wahlkampf geht.

Wiegard:

Ich bin noch gar nicht beim Thema Wahlkampf. Wir brauchen erst mal ein Konzept, das wir mit den gesellschaftlichen Gruppen diskutieren und auf den Weg bringen.

Aber wir brauchen eine Partei, die sich das auf die Fahne schreibt.
Wiegard:

Die Parteien haben wir.

Macht es Ihre Partei, die CDU?

Wiegard:

Wir haben zwei Parteien in der Koalition, drei sogar, die das machen könnten.

Aber am liebsten wäre es Ihnen doch, wenn die CDU es machen würde . . .

Wiegard:

Am besten wäre es, wenn es alle zusammen machen würden, denn dann gäbe es eine Mehrheit.

Zu ihrem Konzept gehört auch die Einführung einer Autobahngebühr. Die Bundeskanzlerin hat die Maut abgelehnt.

Wiegard:

Zu meinem Konzept gehört erst mal keine Autobahngebühr. Ich habe vorgeschlagen, die Kfz-Steuer abzuschaffen. Weil es Unsinn ist, den Besitz eines Autos zu besteuern. Aber ich will sie nicht ersatzlos streichen. Das muss aufkommensneutral sein. Also brauchen wir eine Maut oder eine höhere Mineralölsteuer. Das ist auch umweltgerechter. Wer wenig fährt, bezahlt derzeit genau so viel Kfz-Steuer wie jemand, der 100 000 Kilometer im Jahr zurücklegt. Obwohl der Vielfahrer mehr CO2 produziert und mehr dazu beiträgt, dass Straßen repariert werden müssen. Zur Pkw-Maut kann ich nur sagen: Dass es in Deutschland nicht mal mehr möglich ist, politische Lösungen allseits bekannter Probleme zu erarbeiten und zu diskutieren, erschreckt mich. Ich halte es für selbstverständlich, dass der Bundesverkehrsminister diese Frage durchrechnen lässt.

Wie sieht Rainer Wiegards Traum-Steuersystem aus?

Wiegard:

Alles, was die Bürger an Einnahmen haben, wird nach einem vier- oder fünfstufigen Tarif versteuert. Es gibt nur drei Ausnahmen: Familien bekommen für jedes Mitglied einen einheitlichen Grundfreibetrag, Leistungen für die Altersversorgung sind steuerfrei, Zahlungen an gemeinnützige Einrichtungen können abgezogen werden. Dann bin ich eigentlich schon am Ende. Das ist dann die Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer. Wir könnten uns dann auch einen erheblichen Teil der Steuerbürokratie sparen. Wenn heute jemand mit einem Schuhkarton voller Belege kommt, muss das im Finanzamt von einem Mitarbeiter gesichtet und geprüft werden, der uns im Jahr 50 000 Euro kostet. Der ist mir doch viel zu wertvoll, um solch einen Unsinn zu machen.

Und wie sieht der maximale Steuersatz bei Rainer Wiegard aus? 36 Prozent?

Wiegard:

(lacht) Nein, es müssten wohl um die 45 Prozent sein.

Nun hat Ihr Konzept auf Bundesebene bisher nicht so viel Resonanz gefunden.

Wiegard:

Es ist ein sehr mühseliges Geschäft. Manchmal habe ich mit meinen Initiativen auch genau das Gegenteil erreicht. Ich will ja schon länger die Mehrwertsteuer vereinfachen, und was ist passiert? 2007 wurde der ermäßigte Satz für Seilbahnen eingeführt, dann kam die Mehrwertsteuer-Ermäßigung für Hoteliers. Aber wenn man für etwas dankbar sein kann, dann genau für diese Hotelgeschichte. Die hat den Unsinn mit den unterschiedlichen Mehrwertsteuersätzen ganz deutlich gemacht. Das hat bei den Bürgern so viel ausgelöst, dass man das Problem jetzt angehen muss. Das lässt sich nicht mehr unter der Decke halten.

Herr Wiegard, Sie führen ja gewissermaßen das Haushaltsbuch für das hoch verschuldete Land Schleswig-Holstein. Wie viel geben Sie täglich für Zinsen aus?

Wiegard:

Im Haushalt 2011 sind rund 960 Millionen Euro für Zinsen vorgesehen. In der Stunde, die wir uns für dieses Interview vorgenommen haben, werden ungefähr 109 000 Euro fällig.

Wie konnte es zu einem derart gigantischen Schuldenberg kommen?

Wiegard:

Da müssen wir bis zu Franz Josef Strauß und Karl Schiller zurückgehen, bis ins Jahr 1969, zur Großen Koalition. Damals gab es im Bundeshaushalt ein kleines Problem, worauf man die Finanzverfassung geändert hat. Bis dahin waren Schulden nicht zulässig. Seitdem aber konnten Bund und Länder so viel Schulden machen, wie sie investieren. Das ist dann jedes Jahr so gemacht worden, 40 Jahre lang. Jetzt ist der Berg so groß, dass die Zinsen zu einer Riesenlast werden. Wenn dieses Jahr so verläuft, wie ich vermute, werde ich diese neuen Schulden nur aufnehmen, um damit die Zinsen für die Altschulden zu bezahlen. Wenn Sie das auf Ihren privaten Haushalt übersetzen: Da würde Ihnen jede Bank die Tür vor der Nase zuschlagen.

Wie stehen denn die Hamburger Randkreise da? Wie ist die Lage in Stormarn, Pinneberg und Norderstedt?

Wiegard:

Stormarn gehört zu den sechs oder sieben wirtschaftsstärksten Landkreisen in Deutschland. Der Kreis profitiert davon, dass er eine exzellente Platzierung zwischen den Metropolen Hamburg und Lübeck hat. Aber die Kommunalpolitik hat auch etwas daraus gemacht, hat zum Beispiel Gewerbegebiete ausgewiesen. Für die anderen gilt: Die Nähe zu Hamburg hilft enorm.

Im Herbst ist die schwarz-grüne Koalition in Hamburg zerbrochen. Damit haben Sie auch Ihren Gesprächspartner in Sachen Länderkooperation verloren. Haben Sie schon mit ihrem neuen Partner in Hamburg gesprochen, dem Finanzsenator Peter Tschentscher?

Wiegard:

Er wird sicher in den nächsten Wochen seinen Antrittsbesuch machen. Dann werden wir das fortsetzen, was ich mit seinem Vorgänger Carsten Frigge besprochen hatte.

Ist das nicht lästig, wenn solche Gespräche immer wieder ins Stocken geraten und Sie mit einem neuen Verhandlungspartner wieder ganz von vorn beginnen müssen?

Wiegard:

Was heißt lästig? Ich glaube, Herr Tschentscher ist der vierte Finanzsenator, den ich erlebe. Ich habe mit seinen drei Vorgängern gut zusammengearbeitet. Ich glaube, dass wird mit Herrn Tschentscher auch klappen.

Können wir trotzdem hoffen, dass es bald mehr Kooperationen zwischen den Ländern geben wird?

Wiegard:

Ich bin sehr daran interessiert, über die Investitionsbank Schleswig-Holstein zu reden. Vielleicht schaffen wir es ja, sie zu einem Förderinstitut für beide Länder zu machen. Es würde keinen Sinn machen, wenn Hamburg nun auch noch ein solches Förderinstitut gründen würde. Da wäre eine Zusammenarbeit in einer Institution möglich. Daneben gibt es eine intensive Zusammenarbeit im Bereich Verkehr: bei der A 1, der A 7, der Fehmarnbeltquerung, beim Hamburger Hafenschlick. Intensiver können wir bei der Landesplanung im Grenzbereich zusammenarbeiten, auch beim Dienstrecht. Es macht keinen Sinn, dass Beamte bei einem Wechsel von einem Land zum anderen wieder von vorn anfangen.

Der SPD-Landtagsabgeordnete Habersaat hat vorgeschlagen, die Kooperation auch auf Parlamentsebene voranzutreiben – etwa dadurch, dass man einen gemeinsamen Ausschuss ins Leben ruft. Finden Sie das gut?

Wiegard:

Ich sag mal: Niemand hat die beiden Parlamente bislang daran gehindert, sich zusammenzusetzen.

Die Regierungen haben sich offenbar bislang mehr um dieses Thema gekümmert als die Parlamentarier.

Wiegard:

Das ist ja klar. Wir haben Verwaltung in dieser Region zu organisieren. Da redet man miteinander.

In einem Jahr wird in Schleswig-Holstein gewählt. Wollen Sie erneut als Landtagsabgeordneter kandidieren?

Wiegard:

Ich will das im Mai mit den Ortsvorsitzenden meines Wahlkreises besprechen. Und mit meiner Familie. Lust habe ich schon auf Wahlkampf. Da werden dann die Positionen gegeneinander gestellt. Die schwarz-gelbe Koalition hat eine Menge auf den Weg gebracht. Wir sollten ganz offensiv für eine Fortsetzung werben. Und das würde mir auch Spaß machen, das kann ich nicht leugnen.

Herr Wiegard, wir danken Ihnen für das Gespräch.
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