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Reden im Archiv Debatten aus dem Landtag
Rede vom 21. März 201221. März 2012 Landtagsdebatte zum Gesetzentwurf der Landesregierung über das Ausführungsgesetz zur Schuldenbremse in der Landesverfassung

Finanzminister Rainer Wiegard: Wir brauchen nicht mehr Schulden – wir haben schon genug!

Präsident Torsten Geerdts:
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Gibt es Wortmeldungen zum Bericht? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann erteile ich zunächst für die Landesregierung Herrn Finanzminister Rainer Wiegard
das Wort.

Rainer Wiegard, Finanzminister:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich bei Ihnen für die sehr zügige und schnelle Beratung über das Ausführungsgesetz. Die Differenzen sind bekannt. Wir haben sie hinreichend ausgetauscht. Zu den übrigen Anträgen will ich mich auf zwei Punkte konzentrieren, wobei Sie möglicherweise bemerken werden – vielleicht liegt es daran, dass Frühlingsanfang ist -, dass ich mir zwei Punkte herausgesucht habe, bei denen ich erkenne, dass wir möglicherweise – jedenfalls einigermaßen – in die gleiche Richtung tendieren.

Ich stelle mit Zufriedenheit fest, dass inzwischen auch die Sozialdemokraten den europäischen Fis-kalpakt ausdrücklich begrüßen. Dazu hat es in der vergangenen Zeit ja auch schon andere Meinungs-tendenzen gegeben. Ich will mir allerdings nicht die Bemerkung ersparen, dass das nicht nur für andere gilt, sondern dass, wer Regelungen für andere begrüßt, sie zunächst auch selbst erfüllen muss. Da haben wir noch eine ganze Menge zu tun.

Der Anspruch auf Haushaltsdisziplin richtet sich gegen andere Länder. Da bin ich erstaunt darüber, in welcher Weise insbesondere aus Deutschland und manchmal auch aus Schleswig-Holstein über die Situation beispielsweise in Griechenland hergezogen wird. Ich kann schlicht und ergreifend nur die wenigen Zahlen addieren -

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

- Herr Stegner, lassen Sie das einmal weg! Sie haben ja gerade gemerkt, ich bin auf dem Wege, die wenigen Konsenspunkte herauszuarbeiten, die wir möglicherweise haben.

Wir sehen, dass Schleswig-Holstein 27 Milliarden € Altschulden aufgetürmt hat. Hinzu kommen 3 Milliarden € Schulden der Kommunen, wobei man sagen muss: Verglichen mit den Kommunen in Baden-Württemberg und auf Augenhöhe mit Niedersachsen haben die schleswig-holsteinischen Kommunen dankenswerterweise den niedrigsten Schuldenstand pro Einwohner. Das hängt auch ein bisschen mit der Landespolitik über viele Jahrzehnte hinweg zusammen. Wenn wir die 3 Milliarden € noch hinzunehmen, haben wir 30 Milliarden € Schulden.

Da der Bund nicht eigene Wirtschaftsbürger und eigene Steuerbürger hat, müssen wir die anteilige Bundesschuld auch noch auf uns herunterbrechen. Das sind noch einmal 45 Milliarden €. In der Summe sind wir dann bei 75 Milliarden €, die Schleswig-Holstein an Schulden durch die eigene Wirtschaftskraft zu bewirtschaften hat. Das entspricht ziemlich exakt, also zu 100 %, dem Bruttoinlandsprodukt von Schleswig-Holstein. Dabei ignoriere ich einmal die knapp 40 Milliarden € kapitalisierte Pensionsverpflichtungen, die wir in den letzten 60 Jahren gegenüber den Beamten eingegangen sind, für die in ihrer aktiven Dienstzeit keine entsprechenden Rückstellungen gebildet worden sind.
100 % Verschuldung zum BIP liegt weit über dem, was wir in Maastricht verabredet haben.

Nun gilt das für die gesamte Republik und nicht für ein einzelnes Bundesland. Guckt man einmal, wo Griechenland mit 100 % war – das war wenige Jahre vor der Finanzkrise -, stellen wir fest, dass wir keinen Grund haben, überheblich zu sein, sondern eher Anlass haben, besonders intensiv daran zu arbeiten, dass sich das ändert.

Damit komme ich zum zweiten Punkt. Ich glaube, dass wir eine gute und vernünftige Regelung ver-einbart haben, indem wir gesagt haben, in absehbarer Zeit soll zu den vorhandenen Schulden nichts Neues mehr oben drauf kommen. Sie wissen aber auch, dass ich schon 2007 in der Diskussion um die Föderalismuskommission II den Versuch gemacht habe, den Bund und die Länder dazu zu bewegen, nicht nur bis zum Neuverschuldungsstand null zu denken, sondern darüber hinauszudenken und den aufgelaufenen Schuldenberg ins Visier zu nehmen.

Ich stelle mit großer Zufriedenheit fest – verstehen Sie es bitte positiv, denn ich meine es positiv -: In diesem Haus schließt sich eine große Mehrheit diesem Gedanken durchaus an – die Grünen schon seit Längerem, andere erst seit Kürzerem.

Wenn wir uns ansehen, dass Deutschland – in all diesen Diskussionen immer als Musterschüler be-zeichnet, sich selbst häufig auch als Musterschüler deklariert – inzwischen mit mehr als 2 Billionen € – Bund, Länder und Gemeinden – verschuldet ist, dass diese 2 Billionen € Verschuldung über 80 % des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland ausmachen, wobei wir nur 60 % haben dürften, stellen wir
fest: Es ist notwendig, darüber nachzudenken, wie wir mindestens auf diese 60 % herunterkommen.

Sieht man die Zahlen 2 Billionen, 80 % an und weiß, man darf nur 60 %, dann weiß man, man hat 20 % zu viel. Ein Viertel von 2 Billionen € sind mal eben 500 Milliarden €. Deshalb ist mein Vorschlag, in der vergangenen Woche konkretisiert, dass wir uns in Deutschland auf den Weg machen sollten, diese 500 Milliarden € über einen Zeitraum von 20, 25 Jahren in einem gemeinsamen Altschuldentildungsfonds zu tilgen, wobei jeder seinen Anteil an Zinsen selbst trägt, aber sicherstellen, dass ein bestimmter Anteil vom Steueraufkommen, beispielsweise die rückläufigen, nicht mehr benötigten Mittel zum Solidarpakt II, Aufbau Ost, zur Tilgung herangezogen wird, um in einem überschaubaren Zeitraum zumindest diese 60 % zu erfüllen und nicht nur als Musterschüler dazustehen, sondern es auch tatsächlich zu sein.

Wenn wir sehen, wie die Diskussion dazu im Augenblick verläuft, sollten wir in allen Ländern, in denen wir dies gemeinsam tragen, in denen wir Mehrheiten haben – also auch Baden-Württemberg, Frau Kollegin Heinold, und anderen, sozialdemokratisch regierten Ländern -, diese Forderung unter-stützen. Im Augenblick sind wir einsame Rufer in der Wüste. Die Tatsache, dass wir im Bundestag eine B-Mehrheit haben und im Bundesrat im Augenblick keine B-Mehrheit haben, sollte uns nicht dazu veranlassen, nichts zu tun. Das wäre die schwierigste Situation, die wir uns vorstellen könnten.

(Beifall bei CDU und FDP)

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Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht:
Ich erteile Herrn Finanzminister Rainer Wiegard das Wort.

Rainer Wiegard, Finanzminister:
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lars Harms, ich bin immer wieder schwer beeindruckt, wenn ich von der einen Seite der Opposition höre, es handele sich um Sparorgien, von der anderen
Seite dagegen: „Sie haben gar nicht gespart; Sie haben überhaupt noch nicht gesagt, wo Sie das machen wollen.“ Das ist höchst interessant. Vielleicht einigt ihr euch in der Opposition einmal darauf,
welchen Vorhalt ihr machen wollt.

(Zurufe von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Ja, unsere Vorschläge haben den Vorteil, dass sie nicht nur zu einem großen Teil bereits auf den Weg gebracht worden sind und ihre Wirkung gezeigt haben, sondern dass sie darüber hinaus auch die Zu-stimmung des Stabilitätsrates gefunden haben, der gesagt hat: Das ist der richtige Weg, damit erreicht ihr das Ziel, und jetzt müsst ihr das nur noch umsetzen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Das ist der Unterschied zu dem, was Sie hier immer wieder vorgetragen und vorgeschlagen haben. Frau Heinold, Sie müssen daraus gar keine Szene machen. Ich sage Ihnen noch einmal, was es für Differenzen gibt zwischen der Systematik, die ich übrigens dem Finanzausschuss seit zwei Jahren immer wieder mit dessen Zustimmung vorgetragen habe, und dem, mit dem Sie jetzt davon abrücken wollen. Ich habe das auch im Zusammenhang mit dem Konsolidierungsbericht des Landesrechnungshofes immer wieder dargestellt. Da ist zum einen die Systematik der Methode der Trendsteuereinnahmen, die ich befürworte und unserer Finanzplanung zugrunde lege, zum anderen die Regelung,
wie sie der Bund für die Verwaltungsvereinbarung verlangt hat. Das ergibt in der Verschuldungsmög-lichkeit für alle Jahre in dem Zeitfenster von 2010 bis 2020 einen Unterschied in Höhe von 1,1 Milliarden €. Das heißt, es gibt die Möglichkeit, mit dem System des Bundes auf dieser ganzen Strecke mehr Schulden zu machen.

(Zuruf der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir haben das immer wieder ausdiskutiert. Ich nenne Ihnen jetzt alle drei Varianten. Wenn Sie das für die restliche Zeit, die noch vor uns liegt, weil wir 2012 erstens schon eine Haushaltsphase hinter uns haben werden und auch noch eine Planungsphase vor uns haben – nämlich für dieses Jahr -, nämlich ab 2013, berechnen, kommen Sie ungefähr auf Ihre knapp 600 Millionen € mehr Verschuldungsmöglichkeit als wir. Dann kommt die dritte Variante hinzu, das ist meine. Ich sage, gegenüber der Finanzplanung, die ich vorgelegt habe, ist das für die restliche Strecke ein Unterschied in Höhe von 1,8 Milliarden € Verschuldungsmöglichkeit. Ich mache darauf aufmerksam, weil immer wieder vergessen wird, welche Wirkung der Zinshebel hat.

Würde man gegenüber meiner Finanzplanung Ihre Variante wählen und tatsächlich diesen Rahmen in Höhe von 1,8 Milliarden € Mehrverschuldung bis 2020 ausschöpfen, würde das allein bis zum Jahr 2020 500 Millionen € mehr Zinsen kosten, die Sie gar nicht hätten, die Sie von den 1,8 Milliarden €
bezahlen müssten. Sehen Sie einmal, das ist genau der Punkt, auf den ich immer wieder hinweise.

(Zuruf der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir haben schon genug Schulden, wir brauchen nicht noch mehr.

(Beifall bei CDU und FDP)

Wir müssen vor allen Dingen dafür sorgen, dass wir nicht durch eine höhere als unbedingt notwendige Verschuldung in den nächsten Jahren ein Zinsrisiko eingehen, das wir nicht mehr beherrschen können.

Nun haben wir von unserem „Marktschreier Ralf“ hier noch einen Vortrag gehört, der wieder darauf abgestellt hat, wir sollten nicht nur die Ausgaben im Auge haben. Das haben wir übrigens auch nicht. Ausgabedisziplin ist nur eine Seite der Medaille.

Die Zukunftsfähigkeit zu befördern – auch in dem Sinne, wie das Wolfgang Kubicki gesagt hat; das können Sie sich ja einmal angucken – -

(Zurufe von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Ja, Herr Stegner, ich weiß, warum Sie da so abfällig grinsen. Gucken Sie sich einmal die Entwicklung des Bruttoinlandprodukts von Schleswig-Holstein und dem Rest der Republik in der Zeit an, in der Sie hier regiert haben. Dann werden Sie feststellen müssen, dass wir mit Ihrer Politik den Anschluss an alle anderen Länder, an den Rest der Republik, Anfang der 90er-Jahre verloren haben.

(Beifall bei CDU und FDP)

Es ist notwendig, dass wir diesen Anschluss wieder zurückgewinnen. Das bedeutet Haushaltskonsoli-dierung. Was Sie hier immer wieder als Eindruck erwecken wollen – übrigens Sie alle gemeinsam in der versammelten Opposition -, als sei Haushaltskonsolidierung ein Gegensatz zur Zukunftsfähigkeit, ist falsch. Ich sage Ihnen: Nein, das ist genau umgekehrt.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Haushaltskonsolidierung ist die Voraussetzung dafür, dass wir die Zukunftsfähigkeit überhaupt be-fördern können. Das ist die Situation.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Deshalb haben wir für die Jahre 2013/14 – Sie haben noch gar nicht gesagt, was Sie da machen wollen, außer dass Sie mehr Geld ausgeben wollen – gesagt, dass wir 50 Millionen € in diese Zukunftsfähigkeit, in die Verbesserung unserer wirtschaftlichen Infrastruktur, in die Verbesserung der Unterrichts-versorgung stecken wollen. Wir wollen insbesondere auch – im Gegensatz zur rot-grünen Zeit – die Landesmittel zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf von 60 Millionen auf über 120 Millionen € jährlich verdoppeln. Das ist unsere Leistung. Das erreichen wir nur durch Haushalts-konsolidierung – nur dadurch. Ohne diese Konsolidierung müssten wir nämlich mehr Geld für Zinsen aufwenden und hätten dann das Geld nicht mehr zur Verfügung, um es in die Infrastruktur zu stecken.

(Beifall bei CDU und FDP)

Dann kommt wieder Ihre Mär von den Steuermehreinnahmen, die Sie durch Steuererhöhungen und durch Wiedereinführung von Steuern, die es nicht mehr gibt, weil sie sich nicht bewährt haben, er-reichen wollen. Außerdem wollen Sie neue Steuern einführen, die im Augenblick auf europäischer Ebene keine Mehrheit finden. Ich halte Ihnen noch einmal vor und kann Ihnen auch nur aus dem Gespräch im Rahmen der Finanzministerkonferenz aus der letzten Woche dazu berichten: Ich frage mich, warum Sie uns permanent veranlassen wollen, neue Steuern einzuführen, wenn Sie noch nicht einmal die Steuergesetze, die es derzeit gibt und für die es Vereinbarungen – beispielsweise mit der Schweiz im Rahmen eines Doppelbesteuerungsabkommens – gibt, umsetzen.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Die nichts taugen, Herr Minister!)

Das ist – von einigen wenigen offenen Facetten abgesehen – abschlussreif. Mit ihm würde Schleswig-Holstein allein bis 2020 etwa 350 Millionen € mehr erzielen, wenn es zu der in Deutschland angemes-senen Versteuerung des Kapitalvermögens, das auf Schweizer Bankkonten liegt, käme. – Da brauchen Sie nicht den Kopf zu schütteln. Das genau ist der Sachverhalt, 350 Millionen €! Ich sage noch einmal, weil Sie auch in einem anderen Land derzeit dabei sind, genau den entgegengesetzten Weg zu gehen: Nordrhein-Westfalen bekäme aufgrund dieser Regelung 1,8 Milliarden €. Ich sage Ihnen: Ich finde das völlig unverständlich, und wir werden in der Öffentlichkeit einen erheblichen Druck auf Sie ausüben. Darauf können Sie sich schon freuen.

(Beifall bei CDU und FDP – Zuruf des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Sie haben es in der Zeit, als Sie dieses Land zu regieren versucht haben – was Ihnen kläglich misslungen ist -, in zehn Jahren, nicht geschafft, das eigene Steueraufkommen anzuheben – in zehn Jahren nicht. Immer 4,9 bis 5,1 Milliarden € – zehn Jahre lang! Wir liegen heute 2 Milliarden € darüber. Wir
haben noch nicht das Niveau dessen erreicht, das wir erwartet haben, aber wir haben 2011 das höchste Steueraufkommen aller Zeiten in Schleswig-Holstein gehabt. Ich denke, wir müssen vorsichtig sein, dass wir nicht das, was wir mit viel Mühe an wirtschaftlicher Infrastruktur entwickeln, gleich
wieder mit Ihren Steuererhöhungsparolen kaputt machen.

Deshalb machen Sie endlich den Weg in den Ländern, in denen Sie regieren – das gilt auch, Frau Heinold, für die Grünen in Baden-Württemberg -, dafür frei, dass wir dieses Doppelbesteuerungsakommen mit der Schweiz abschließen und endlich die Mittel bekommen. Im nächsten Jahr würden wir allein daraus gut 200 Millionen € Nachzahlungen für zurückliegende Steuerbelastungen bekommen.
Das ist der richtige Weg. Dann können wir sehr wohl darüber diskutieren, an welcher Stelle uns diese strukturellen Mehreinnahmen in der Zukunft behilflich sein können.

(Beifall bei CDU und FDP)