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Reden im Archiv Debatten aus dem Landtag
Rede vom 07. September 200980. Bundeskammerversammlung der Bundessteuerberaterkammer

Finanzminister Rainer Wiegard: „Wir brauchen ein Steuersystem, das Leistung befördert und den Staat handlungsfähig erhält.“

Sehr geehrter Herr Dr. Vinken, (Präsident der Bundessteuerberaterkammer)
sehr geehrter Herr Dr. Neuhaus, (Präsident der StBK SH)
meine Damen und Herren,

im Namen der schleswig-holsteinischen Landesregierung heiße ich Sie zu Ihrer Bundeskammerversammlung in Lübeck-Travemünde herzlich willkommen.

In diesem Wahljahr war schon die Wahl des Tagungsortes eine sehr gute Wahl!

Die Hansestadt Lübeck und die umliegenden Kreise sind eine außerordentlich vielfältige Region in Deutschland.

Sie finden hier eine endlose, wunderschöne Küste. Travemünde bildet den Ausgangspunkt einer Perlenkette von schleswig-holsteinischen Orten an der Ostsee. Lübeck bietet als Weltkulturerbe viel Geschichte mit heute rund 1.800 denkmalgeschützten Gebäuden.

Wohl jede in Deutschland gedruckte Tageszeitung hat schon diese Region gesehen, denn das Zeitungspapier wird aus Skandinavien über den hiesigen Hafen importiert.
Deutschlands führende Unternehmen und Einrichtungen der Medizintechnik und Medizininformatik forschen und arbeiten in Lübeck. Der Nachbarkreis Stormarn gehört zu den TOP 10 in Deutschland der wirtschaftsstärksten Landkreise. Mit einer Arbeitslosenquote von knapp über vier Prozent herrschen dort – übrigens mein Wahlkreis – Verhältnisse wie in anderen strukturstarken Regionen.

Sie sehen, wir in Schleswig-Holstein bieten eine ganze Menge — und wir können auch hochdeutsch.

An dieser Region am Mare Baltikum können Sie erkennen, wie sich die Welt politisch und wirtschaftlich in den letzten Jahrzehnten unglaublich verändert hat.

Der Eiserne Vorhang ist gefallen.
Uralte Handelsbeziehungen nach Osteuropa erleben eine Renaissance. Mauer, Stacheldraht und Sperrstreifen der innerdeutschen Grenze sind verschwunden. Deutschland hat seine Einheit wiedererlangt.

Es ist erst zwanzig Jahre her, da war der Küstenstreifen auf der anderen Seite des Priwalls, Sie können das von hier sehen, noch unerreichbares Territorium.

Heute haben wir Freiheit für Menschen, Informationen und Meinungen und Freizügigkeit für Waren, Kapital und Dienstleistungen. Manche haben da oft ein sehr kurzes Gedächtnis. Deshalb erlaube ich mir, gerade hier — unmittelbar an der ehemaligen Demarkationslinie — daran zu erinnern. Auch daran, dass Deutschland der Ausgangspunkt dafür war, dass diese Öffnung zur Freiheit nicht nur auf Deutschland beschränkt blieb, sondern Freiheit für die Völker Europas und darüber hinaus bewirkt hat.

Mit der Freiheit kommt der Wettbewerb. Wir im Ostseeraum konkurrieren nun nicht mehr nur mit den Regionen in Skandinavien, sondern eben auch mit denen in Polen oder im Baltikum oder anderswo auf dieser Welt, wo das bis dahin eben nicht freizügig möglich war.

Deshalb muss die Politik durch Investitionen in die Infrastruktur und durch Organisation der übrigen Rahmenbedingungen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass unsere Unternehmen sich diesem weltweiten Wettbewerb stellen können und nicht durch nationale Bedingungen daran gehindert oder benachteiligt werden.

Hier im Lübecker Raum betrifft das hinsichtlich der Infrastruktur z.B. die Elektrifizierung der Bahnstrecke von Lübeck nach Hamburg, die den Güter- und Personentransport beschleunigt.

Es betrifft die Fehmarnbelt-Querung als künftig größtes Bauprojekt in Nordeuropa, die die Metropolen Hamburg und Kopenhagen/Malmö in drei Stunden verbindet.
End es betrifft den weiteren Ausbau der Autobahn A 24, die von Stettin entlang der Ostseeküste in Richtung Elbe führt.
Die Schnittstelle dieser Verkehrsprojekte bei Lübeck verbindet unser Land mit Ost-, und Nord- und Westeuropa.

Allein diese drei Verkehrsprojekte zeigen auf, welche wirtschaftlichen Entwicklungen möglich sind, wenn Politik entscheidet — oder anderswo erfolgen, wenn Politik sich verweigert. Verweigerung haben wir hier fast zwanzig Jahre erlebt.



Meine Damen und Herren,

zu den Standortbedingungen gehört vor allem auch die Steuerpolitik.

Sie erinnern sich, dass wir uns da schon vor der letzten Bundestagswahl viel vorgenommen hatten. Einiges ist auf den Weg gebracht. Manche dieser Wege sind — so finde ich — überwiegend gut gelungen, also nach der Renovierung besser als vorher.
Bei anderen ist das m.E. umgekehrt. Das gilt insbesondere für die Reform der Erbschaftsteuer und die Tatsache, dass der Bund sich krampfhaft an die Kraftfahrzeugsteuer klammert, die er den Ländern nun abgekauft hat, statt sie abzuschaffen und in anderen Verkehrsabgaben aufgehen zu lassen.
Steuerpolitik muss nachhaltige Antworten auf Wettbewerb formulieren. Eine im internationalen Vergleich attraktive Unternehmensbesteuerung ist heute der Grundstein für Wachstum und Beschäftigung.
Und Steuervermeidung und Steuerverlagerung müssen finanziell unattraktiver werden – ein Baustein für die Konsolidierung der Staatsfinanzen — und für mehr Steuergerechtigkeit.
Mit der Anhebung der Umsatzsteuer von 16% auf 19% im Jahr 2007 konnten Bedingungen geschaffen werden, um den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung zu senken und damit Unternehmen und Arbeitnehmer zu entlasten.
Ebenso war dies ein unverzichtbarer Beitrag für die Sanierung der öffentlichen Haushalte. Deutschland liegt mit 19% immer noch knapp unter dem europäischen Durchschnitt.
Bei dem ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent hätte ich mir ein bisschen mehr Mut zu Bereinigungen gewünscht. Hier wird in den kommenden Jahren eine wichtige Aufgabe vor uns liegen.
Kernelement der Unternehmensteuerreform seit Januar 2008 ist vor allem die Senkung des Körperschaftsteuersatzes von 25% auf 15%.
Eng mit der Reform der Unternehmensbesteuerung verknüpft ist die Modernisierung der Kapitalertragsbesteuerung. Ein transparentes System der Kapitalbesteuerung bei privaten Haushalten hält Kapital im Inland und sichert dadurch langfristig das Steueraufkommen. Seit Januar 2009 werden alle privaten Kapitaleinkünfte einheitlich mit einer 25-prozentigen Abgeltungsteuer belegt. Steuerpflichtige mit Zinseinkünften und einem niedrigeren individuellen Steuersatz als 25% werden nicht stärker belastet, wenn sie diese in ihrer Steuererklärung angeben.
Mit dem Bürgerentlastungsgesetz wurde eine der größten Steuerentlastungen der bundesdeutschen Geschichte beschlossen. Rund 16,6 Millionen Menschen profitieren ab Januar 2010 durch die bessere Absetzbarkeit der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung von Entlastungen in Höhe von ca. 10 Mrd. Euro jährlich.
Weitere deutliche Steuerentlastungen besonders für untere Einkommensgruppen ergaben sich bereits aus den Beschlüssen zu den Konjunkturpaketen.
So ist für 2009 neben der Erhöhung des Grundfreibetrages (auf 7.834 €, ab 1. Januar 2010 auf 8.004 €) auch der Eingangssteuersatz von 15% auf 14% gesunken.
Familien werden zusätzlich seit Jahresbeginn durch das erhöhte Kindergeld, die Anhebung des Kinderfreibetrages und den für 2009 einmalig gewährten Kinderbonus entlastet.
Andere Entlastungsschritte zielten auf eine bessere Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf sowie die Eindämmung der Schwarzarbeit: Die Förderung von haushaltsnahen Dienstleistungen wurde ausgeweitet und eine Berücksichtigung von Arbeitskosten bei Handwerkerleistungen zu Erhaltungs- und Modernisierungszwecken (erweitert zum 1. Januar 2009) im privaten Bereich eingeführt.
Die Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten wurde deutlich verbessert.
(Sie haben es sicher bemerkt: Dies war auch ein Beitrag zu den Äußerungen des Bundesfinanzministers, wir könnten uns Steuersenkungen auf breiter Front nicht leisten.)

Wir werden jetzt sehr aufmerksam beobachten müssen, wie diese Maßnahmen wirken und in welchem Maße sie die Kräfte motivieren, die zu neuem Wachstum führen, das wir dringend brauchen. Denn diese steuerlichen Erleichterungen für Herrn und Frau Bürger werden zunächst mit neuen Schulden finanziert. Und die kosten im nächsten Jahr zusätzliche Zinsen. Davon haben wir aber ganz bestimmt schon jetzt zu viel!

Schleswig-Holstein hat im vergangenen Jahr, dem besten Einnahmejahr aller Zeiten, eine Milliarde Euro Zinsen für alte Schulden bezahlen müssen. Und eine weitere Milliarde Euro für Pensionen, weil dafür keine Vorsorge getroffen war. Das heißt: Fast jeder dritte eingenommene Euro wird für die Bezahlung von Vergangenheit ausgegeben. Nicht für Zukunftsaufgaben.

Bei einigen Punkten bin ich allerdings der Meinung, sie hätten an anderer Stelle kompensiert werden können. Ich habe deshalb im Bundesrat dem Bürgerentlastungsgesetz meine Zustimmung verweigert, weil ich der Meinung bin, dass wir nicht genügend Überraschungseier haben, mit denen wir alle Wünsche beliebig erfüllen können.

Dabei haben wir einen beachtlichen Spagat vor uns.
Wir müssen gleichzeitig
kraftvoll in den Ausbau der Infrastruktur investieren,
die unerträglich hohe Verschuldung konsequent zurückführen,
und die Einnahmeseite der öffentlichen Haushalte einschließlich der sozialen Sicherungen zukunftsfähig machen.

Dabei führt an den ersten beiden Punkten überhaupt kein Weg vorbei. Ohne Zukunftsinvestitionen in den Ausbau von Verkehrswegen, Ver- und Entsorgungs- und Datennetzen werden wir nicht dauerhaft im internationalen Wettbewerb bestehen können. Und wenn wir die wahnsinnige staatliche Verschuldung nicht in absehbarer Zeit stoppen, werden uns die Zinsen für die Altschulden erdrosseln — oder unsere Nachkommen, weil sie die hohen Lasten nicht mehr tragen können.

Bei der Entwicklung der steuerlichen Belastung müssen wir sehr sorgfältig schauen, welche Stellschrauben notwendig sind, um die Leistungsträger in unserer Gesellschaft nicht so über Gebühr mit Steuern und Abgaben zu belasten, dass sie sich schließlich dieser Leistung verweigern. Denn sie tragen die Last auch für jene, die nicht leistungsfähig sind. Deshalb werden wir hier — wenn die konjunkturelle Entwicklung dies zulässt — überschaubare Korrekturen vornehmen müssen. Das gilt für die Abflachung des Mittelstandsbauchs ebenso wie für die Verschiebung des Höchststeuersatzes.

Schließlich aber — und das ist die eigentliche Aufgabe — führt m.E. kein Weg vorbei an einer umfassenden Steuerstrukturreform, die ein einfacheres, transparentes und für die Betroffenen und Beteiligten nachvollziehbares, wieder Vertrauen stiftendes Steuerrecht schafft, das sich auf deutlich weniger Steuerarten beschränkt, dabei auf Ausnahmeregelungen weitgehend verzichtet und so zu erheblich günstigeren Kosten bei Steuerpflichtigen, ihren Beratern und der Finanzverwaltung führt. In der Steuerverwaltung in Schleswig-Holstein sind 5.000 Menschen beschäftigt.

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir uns das heutige, in der Handhabung luxuriös aufwändige Steuerrecht einfach nicht leisten können. Weder auf der Seite der Steuerpflichtigen noch auf der Seite der Steuereinnehmer.

Und weil Herr Steinbrück gerne markig darauf hinweist, dass es keinen Urknall gibt, aus dem plötzlich und unerwartet ein solches Steuerrecht erwächst,
und der damit eigentlich genau dies verweigert,
will ich gerne noch betonen:

Ein neues und zukunftsfähiges Steuerrecht entsteht in der Tat nicht von selbst durch einen Urknall, sondern durch ein klares Zielkonzept, bei dem man weiß, wo man mittel- und langfristig ankommen will und das man in einer Vielzahl von Schritten über Jahre konsequent verfolgt und zielstrebig umsetzt. Das ist allerdings mit harter Arbeit und klarem Blick für das Wichtige verbunden.

Und: Dies zu formulieren und festzulegen, gelingt nach meiner festen Überzeugung nur in einer wirtschaftlichen Schwächephase — also jetzt. Denn die meisten finanz- und haushaltspolitischen Fehler in den letzten vierzig Jahren wurden in Hochkonjunkturzeiten begangen. Nach dem Motto: Wir haben‘s ja — und das wird schon noch so weitergehen.

Meine Damen und Herren,
es wird Sie also nicht überraschen, dass es auch nach dem 27. September eine Vielzahl steuerpolitischer Themen geben wird, die mit Sorgfalt und Intensität zu diskutieren sind.

Ich bin deshalb auch sehr gespannt auf Ihre steuerpolitischen Strategien.

Deshalb wünsche ich Ihnen für die nächsten beiden Tage eine interessante und erfolgreiche Bundesversammlung. Die Atmosphäre hier an der Küste mit frischem Wind und weitem Blick schafft bestimmt eine gute Grundlage für eine solche Beratung.