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Reden im Archiv Debatten aus dem Landtag
Rede vom 28. Januar 20109. Sitzung des Schleswig-Holsteinischen Landtages – Donnerstag, 28. Januar 2010

Finanzminister Rainer Wiegard: Niemand hat das Recht, heute noch nicht geborene Generationen in beliebiger Höhe mit Schulden zu belasten, um jetzt ein angenehmeres Leben zu führen.

Rainer Wiegard, Finanzminister:
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren!
Es gibt eine neue Schuldengrenze. Es gab bisher auch schon eine. Das ist richtigerweise von zwei Rednern bereits dargestellt worden. Der wesentliche Unterschied ist: Bisher waren Schulden grundsätzlich zulässig, wenn auch mit einer Grenze in Höhe der investiven Ausgaben. Die neue Regelung heißt: Schulden sind grundsätzlich nicht zulässig. Das ist der entscheidende neue Punkt, der es auch erübrigt, Diskussionen darüber zu führen, was eine Investition ist. Das ist der Punkt, Kollege Habeck, bei dem ich und wahrscheinlich die meisten hier Bauchschmerzen bei Ihrem Änderungsantrag habe, nämlich einfach irgendwelche anderen konsumtiven Ausgaben zu Investitionen zu erklären.

Ich gebe zu, wir haben für die Zeit der Schuldenbremse – 2011 bis 2019 – ein Klärungsproblem, wie hier mit Kreditaufnahmen verfassungsrechtlich zu verfahren ist. Aber einfach zu sagen, wir machen das, was in den vergangenen 40 Jahren auch schon gemacht wurde, indem wir ein bisschen an dem Investitionsbegriff herumschrauben – das ist regelmäßig passiert -, ist nicht der richtige Weg.

(Zuruf der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Entscheidend ist, dass die Änderung notwendig ist, nicht etwa, weil wir eine Neuregelung in der Verfassung stehen haben, sondern dass sie notwendig ist, weil Schleswig-Holstein – das gilt im Übrigen auch für die meisten anderen Länder und den Bund – bei einer Fortsetzung regelmäßiger weiterer Schuldenaufnahmen schlicht und ergreifend nicht überlebensfähig ist.

(Beifall bei CDU und FDP)

Deshalb finde ich es bemerkenswert, dass wir über die Begrifflichkeit noch ein bisschen miteinander zu diskutieren haben. Ich habe den Eindruck, dass noch nicht jeder die Notwendigkeit richtig erkannt hat.

Herr Kollege Stegner, Sie begründen Ihren Antrag damit, dass Sie auf der Grundlage einer Verfassungsänderung die Möglichkeit haben wollen, gegen die entsprechende Verfassungsregel des Bundes zu klagen. Das ist keine ausreichende Fiktion, sondern wir brauchen ein Verständnis, das deutlich macht: Keine Landesregierung, kein Parlament hat das Recht, heute noch nicht geborene Generationen in beliebiger Höhe mit Schulden zu belasten, um jetzt angenehmer leben zu können. Dem haben wir uns zu beugen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Wenn man – wie ich gerade vor einigen Stunden – aus einem Land zurückkommt, das eine mehr als 4.000-jährige Geschichte detailliert nachweisen kann, dann ist es schon mindestens bemerkenswert, dass sich die für die Finanzlage des Landes Schleswig-Holstein in den letzten 20 Jahren Verantwortlichen an ihren Teil der Verantwortung offensichtlich nicht mehr erinnern können.
(Beifall bei CDU und FDP)

Ihre Verantwortung, insbesondere Ihre, Herr Stegner, für den Teil von 1988 mindestens bis 2005: regelmäßig deutlich überdurchschnittliche Einnahmen verbraucht, Landesvermögen vollständig veräußert, die bis heute geltende Schuldengrenze regelmäßig überzogen, eine Milliarde € Zinsen, die aus dieser Verschuldung resultieren, eine weitere Milliarde € aus Pensionslasten, für die keinerlei Vorsorge getroffen wurde, Lehrer beschäftigt, aber nicht bezahlt, Infrastruktur sträflich vernachlässigt, UK S-H-Sanierungsstau von 700 Millionen €, Sanierungsstau bei den Schulen in Höhe von 200 Millionen €, Verkehrsnetze-Sanierungsstau kaum abschätzbar, wahrscheinlich eine Milliarde €. Es gibt kein einziges Jahr in der gemeinsamen Regierungszeit von Rot-Grün, in dem Sie es geschafft haben, einen Haushaltsabschluss vorzulegen, bei dem Sie weniger Schulden gemacht als investiert und Vermögen entnommen haben.
Sich dann hier hinzustellen und so zur aktuellen Politik zu reden! In einigen Fällen, wie Sie wissen, habe ich erhebliche Zweifel, ob uns das im Detail wirklich so richtig voranbringt, wenn man sich anguckt, was Sie an Anträgen zu Steuerentlastungsgesetzen des Bundes eingebracht haben. Sie haben sogar vorliegende Drucksachen, in denen darauf hingewiesen wurde, dass hier mit Einnahmeverlusten zu rechnen ist, durch einen Resolutionsentwurf abgeändert, in dem es heißt – ausschließlich auf Antrag Schleswig-Holsteins ‑: Der Bundesrat begrüßt das vorliegende Steuerentlastungsgesetz, das insbesondere darauf ausgerichtet ist, Wachstum und Beschäftigung zu verbessern sowie Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer und Familien spürbar zu entlasten.
(Zurufe)

Der Bundesrat stellt fest, dass in dem nun vom Deutschen Bundestag beschlossenen Gesetz wesentliche steuerliche Belange der mittelständischen Wirtschaft eine angemessene Berücksichtigung gefunden haben. Der Bundesrat verweist in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Beibehaltung der Teilwertabschreibung, des Verlustrücktrags, die Ansparabschreibungen sowie auf die Freibetragsregelung bei Veräußerungsgewinnen. Das heißt: Wer ein Paar Schuhe verkauft, der zahlt Steuern. Wer eine Schuhfabrik verkauft, der zahlt keine Steuern.
(Zurufe)
Das war die Diktion der sozialdemokratischen Regierung in Schleswig-Holstein, unterstützt von den Grünen seit 1996.
(Ulrich Schippels [DIE LINKE]: Aber nicht von uns! – Wolfgang Kubicki [FDP]: Sie spielen doch keine Rolle!)

Meine Damen und Herren, ich habe vor diesem Landtag und vor der schleswig-holsteinischen Öffentlichkeit vor eineinhalb Jahren eine ausdrückliche Entschuldigung ausgesprochen – jedenfalls für den Teil, den ich zu verantworten habe – hinsichtlich der Verfassungsbrüche bei der Aufstellung und im Vollzug der Haushalte der letzten Jahre. Herr Stegner, ich warte immer noch darauf, dass Sie sich hier hinstellen und gegenüber der schleswig-holsteinischen Öffentlichkeit Ihren Anteil der Verantwortung übernehmen.
(Beifall bei CDU und FDP)

Dazu gehört natürlich auch, dass man weiß, worüber man redet. Und den Eindruck habe ich – gestatten Sie mir das bitte – bei dem, was Sie hier heute vorgetragen haben, überhaupt nicht. Herr Kollege Stegner, Sie sprechen von einem strukturellen Defizit von 600 Millionen €. Da sind Sie nur bei der Hälfte. 600 Millionen € sind der strukturelle Nachteil gegenüber den anderen westdeutschen Flächenländern hinsichtlich der Einnahmeentwicklung und der Mehrausgaben bei den Zinsen. Aber das strukturelle Defizit liegt bei etwa 1,2 Milliarden €.
Das Zweite ist ein von Ihnen immer wieder wiederholter völlig unsinniger Vergleich, nämlich der Vergleich der staatlichen Kreditaufnahme mit der Kreditaufnahme einer Familie für ein Auto oder für ein Haus. Die Familie kriegt den Kredit für das Haus gar nicht mehr, wenn sie nicht vorher den Kredit für das Auto planmäßig getilgt hat. Das Land Schleswig-Holstein hat noch nie Schulden getilgt. Wir hätten nie einen weiteren Kredit kriegen können, aber der Staat unterliegt anderen Regeln. Das ist der entscheidende Unterschied, den Sie ignorieren.

Herr Kollege Habeck, ich habe mich über einen Teil Ihres Redebeitrags, soweit er sich mit den Grundsätzen befasst hat, gefreut und hoffe, dass wir bei den weiteren Beratungen in den nächsten Monaten bis zur Verabschiedung der Verfassungsänderung die eine oder andere Veränderung gemeinsam erarbeiten können. Helmut Kohl hat einmal von der Gnade seiner späten Geburt gesprochen; Sie haben die Gnade der späten Mitgliedschaft in diesem Haus, sodass Sie sich nicht unbedingt persönlich für das verantwortlich fühlen müssen, was Ihre Fraktion in früheren Zeiten, insbesondere der Zeit ihres Mitregierens von 1996 bis 2005, hier an finanziellem Schaden, sowohl was den Landeshaushalt als auch was die Infrastrukturverhinderung in diesem Land betrifft, verursacht hat.
(Zurufe)

Herr Kollege Habeck, ich will damit nur deutlich machen: Wenn es richtig ist – ich hatte den Eindruck, dass wir in dem Punkt übereinstimmen -, dass wir aus der Erkenntnis heraus, dass wir nicht so weitermachen können, eine Änderung wollen, nicht weil es irgendwo geschrieben steht, dann gehört dazu auch, dass jeder den Teil seiner Verantwortung übernimmt, der dazu geführt hat, dass wir heute zu dieser Veränderung kommen müssen. Da kann man sicherlich noch auf ein Wort von Ihnen hoffen.
Die Ergänzungstexte der SPD zu der Einschränkung der Sätze 1 bis 4 sind so schwammig, das man sie kleindrücken und öffnen kann, bis sich der Schwamm überdehnt. Meine Damen und Herren, Sie könnten auch reinschreiben: Abends wird es dunkel, und morgens wird es hell. Auch das könnten wir in der Verfassung regeln.
Meine Damen und Herren, was meinen Sie denn konkret damit? Meinen Sie bei den Regelungen des Bundes, die zu Einnahmeverlusten führen, die rechnerischen, strukturellen, durchschnittlichen Einnahmeverluste, oder meinen Sie tatsächliche Einnahmeverluste? Ist das auf das Haushaltsjahr bezogen? Oder gibt es da einen Spielraum, den Sie beliebig ausdehnen wollen? Wollen Sie damit zum Beispiel sagen, wenn der Bund ankündigt, die BAföG-Sätze zum Herbst dieses Jahres zu erhöhen, dass wir sozusagen wie Rumpelstilzchen mit dem Fuß auftreten und sagen können sollen: Na gut, dann ärgern wir eben den Bürger und nehmen zu seinen Lasten höhere Kredite auf? Wir müssen hier schon sehr viel konkreter werden, wenn derartige Einschränkungen erforderlich sein sollten.

Vizepräsidentin Herlich Marie Todsen-Reese:
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Bernd Heinemann?

Rainer Wiegard, Finanzminister:
Bitte sehr!

Vizepräsidentin Herlich Marie Todsen-Reese:
Bitte, Herr Abgeordneter Heinemann!

Bernd Heinemann [SPD]:
Herr Minister, können wir erwarten, dass Sie Ihre eigenen Standpunkte auch noch zum Besten geben und noch etwas zu Ihren Visionen sagen?

Rainer Wiegard, Finanzminister:
Ja, Herr Kollege. Das können Sie auch in den letzten Debattenbeiträgen nachlesen. Wir reden nicht zum ersten Mal über den Schuldentilgungspakt, die Schuldengrenze oder die Schuldenbremse, sondern wir haben schon stundenlange Debatten zu diesem Thema geführt. Das können Sie alles nachvollziehen. Die Zeit erlaubt es mir nicht, hier alles erneut vorzutragen. Sie können es nachlesen.

(Bernd Heinemann [SPD]: Dazu haben Sie bisher überhaupt nichts gesagt!)

Wenn Ihnen das zu schwer ist, kann ich Ihnen die Redebeiträge gern zur Verfügung stellen. Aber ich möchte gern auf die Debatte eingehen, weil es notwendig ist, dass wir hier miteinander debattieren. Das bedeutet, dass zu getroffenen Aussagen auch konkrete Antworten gegeben werden müssen.

Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass die vorige Landesregierung einen Vorschlag für einen Altschuldentilgungspakt gemacht hat. Nun wäre ein Antrag von Herrn Stegner nicht ein Antrag von Herrn Stegner, wenn er wahrheitsgemäß wäre.

(Widerspruch bei der SPD – Jürgen Weber [SPD]: Das geht zu weit! – Wolfgang Kubicki [FDP]: Wer austeilt, muss auch einstecken können!)

- Ich komme noch dazu, Ihnen das zu erläutern.

Herr Stegner hat auch heute wieder gesagt, dass der Altschuldenfonds, den die SPD im Rahmen des Steuerpakts 2004 vorlegte, auch von der Regierung von Peter Harry Carstensen vertreten worden sei. Diese Aussage ist definitiv falsch. Darüber haben wir auch in diesem Haus mehrfach miteinander debattiert. Ihren Altschuldenfonds habe ich bereits 2004 und auch im Rahmen der Beratungen der Föderalismuskommission abgelehnt; er wurde da auch von anderen unterbreitet. Wir werden diesen Vorschlag auch in Zukunft ablehnen, weil es eben kein Altschuldentilgungsfonds ist. Vielmehr sollen die aufgelaufenen Altschulden beiseite gestellt, sozusagen in Beton gegossen werden – weil sie ja von so großer Bedeutung für die Nachwelt sind -, und dann laufend dauerhaft mit Zinsen bedient werden.

Wie man mit volkswirtschaftlichen Rechnungen möglicherweise belegen kann, wird die entsprechende Größe bei steigendem Bruttoinlandsprodukt und steigender Inflation in Relation zum Haushalt immer kleiner. Aber eine gute Milliarde € bleibt eine gute Milliarde €. Diese für die Ewigkeit zu betonieren mit dem Argument: „Das, was wir damals gemacht haben, war von so großer Bedeutung“, ist schlicht und ergreifend Betrug an künftigen Generationen. Deshalb sagen wir Nein zu einer solchen Lösung.

(Beifall bei CDU und FDP)

Was wir wollen, ist ein Altschuldentilgungsfonds. Einen entsprechenden Vorschlag haben wir in die Diskussion eingebracht. Wie Sie wissen, sind wir in der ersten Runde damit nicht durchgedrungen; aber wir bleiben dabei. Unser Vorschlag zum Altschuldentilgungsfonds besagt, dass die aufgelaufenen Staatsschulden in etwa dem gleichen Zeitraum, in dem sie entstanden sind, auch zurückgezahlt werden müssen, also mit einem Tilgungssatz von etwa 0,5 %.

Unser Vorschlag folgt nicht dem Grundsatz, der auch in Ihrer Diktion hier enthalten war, dass einige Länder für andere Länder die Schulden zurückzahlen sollen. Nach unserem Plan zahlt jedes Land die eigenen Schulden zurück. Geholfen wird durch eine Art Fortsetzung des Solidaritätszuschlags, wie wir ihn für den Aufbau Ost verwendet haben. Die Größenordnung des Zuschlags auf die Einkommensteuer läge bei 1,5 % bis 2 %. Das ist notwendig, um die Landes- und Kommunalschulden in einem Zeitraum von fünfzig Jahren zu tilgen und mit Zinsen zu bedienen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Robert Habeck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Weitere 3 % braucht man, um dem Bund das Gleiche zu ermöglichen. Damit sind wir wieder bei einem Zuschlag von 5,5 %, wie er bereits jetzt als Zuschlag auf die Einkommensteuer erhoben wird. Ich glaube, wir werden über diesen Punkt erneut miteinander diskutieren.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Möglicherweise nennen wir es dann anders. Die Neuordnung des Länderfinanzausgleichs steht in den nächsten Jahren an; spätestens am Ende dieser Wahlperiode beginnen die Beratungen. Dann werden wir erneut über diese Frage reden.
Nur, die Nettotilgung von Altschulden beginnt erst dann, wenn man mit der Neuverschuldung bei null ist. Dort müssen wir erst einmal hinkommen. Deshalb ist die Reihenfolge richtig, erst die Schuldengrenze festzulegen, die Schuldenbremse auf dem Weg dahin umzusetzen und dann mit der Altschuldentilgung definitiv zu beginnen. In der Föderalismuskommission II ist vereinbart worden, dass in einer weiteren Beratungsrunde – das wird die sein, in der wir den Länderfinanzausgleich neu ordnen – auch über die Altschuldentilgung neu diskutiert wird. Dann werden wir unseren Antrag erneut einbringen.

(Anhaltender Beifall bei CDU und FDP)