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Reden im Archiv Debatten aus dem Landtag
Rede vom 15. Juli 2009Schleswig-Holsteinischer Landtag 117. Sitzung Mittwoch, 15. Juli 2009 – Unkorrigiertes Stenografenprotokoll – Es gilt das gesprochene Wort

Plenardebatte zum 2. Nachtragshaushalt für die Jahre 2009 und 2010

Präsident Martin Kayenburg:
Für die Landesregierung hat nunmehr Herr Finanzminister Rainer Wiegard das Wort. Allen Kolleginnen und Kollegen gebe ich zu wissen, dass sie jetzt über den Offenen Kanal im Internet zu sehen sind und dass eine Kamera auch links von uns steht.

Rainer Wiegard, Finanzminister:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einigen Redebeiträgen ist angeklungen, dass wir in der Tat auf einem guten Weg waren. Beim Regierungsantritt 2005 hat der Haushalt einen Fehlbetrag von 1,7 Milliarden € ausgewiesen. Ende 2008 waren es unter 300 Millionen €, also rund 1,4 Milliarden € weniger. Alle Steuermehreinnahmen in dieser Zeit haben wir konsequent zur Senkung des Fehlbetrags verwendet. Das ist die eigentliche Botschaft.

Wenn man sich in den Ländern und beim Bund umsieht, stellt man fest, dass nicht überall so verfahren wurde. Wir hingegen haben die Steuermehreinnahmen voll für diesen Zweck eingesetzt. Das heißt, dass alle zwangsläufigen Mehrausgaben, insbesondere für bessere Bildung durch zusätzliche Lehrkräfte, für den notwendigen Ausbau der in der Vergangenheit vernachlässigten Infrastruktur, für Tarifsteigerungen und Ähnliches aus Umschichtungen im übrigen Haushalt finanziert worden sind.

Wir haben im Jahre 2008 die geringste Neuverschuldung, wenn man Vermögensverzehr hinzurechnet, seit über 20 Jahren registrieren können. Ohne Risikovorsorge, die ja schließlich auch aus – allerdings verfassungsrechtlich zulässigen – Krediten finanziert ist, gilt dies sogar für die Zeit seit 1978. In den Jahren 2007 und 2008 haben wir erstmals seit 1996 im Vollzug wieder verfassungsgemäße Abschlüsse vorgelegt. Für die Jahre 2009 und 2010 gilt dies für den Ursprungshaushalt auch.

Ich möchte an dieser Stelle einmal aus den Bemerkungen des Landesrechnungshofs zitieren. In den mir bekannten Berichten des Rechnungshofs, stellt die Passage, die ich Ihnen zitieren möchte, meines Erachtens eine Einmaligkeit dar. Bei aller zum Teil berechtigten, zum Teil auch etwas forcierten und ambitionierten Kritik will ich die folgende Passage zitieren:
„Von 2005 bis 2007 kürzte die Landesregierung die Nettokreditaufnahme sogar um mehr, als das Land an zusätzlichen Steuern einnahm. Die Landesregierung ist mit den zusätzlichen Steuereinnahmen verantwortungsvoll umgegangen.“

So steht es auf Seite 43 im Bericht des Rechnungshofs für 2009. Ich glaube, dass das eine Nachricht ist, die erfreuen kann und die für künftige Jahre auch anspornen kann. In früheren Berichten werden Sie eine solche Aussage sicherlich nicht finden.
Auf diesem Wege wollten wir weiter voranschreiten. Nun hat uns die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise voll erwischt und uns zunächst einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht, diesen Weg konsequent fortzusetzen. Deutschland befindet sich in der schwersten Rezession seit Bestehen der Bundesrepublik. Wir erwarten in diesem Jahr einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von etwa 6 %. Für das Jahr 2010 schwanken die Prognosen nach wie vor, wobei im Prinzip von einem Null-Wachstum ausgegangen wird.
Auch auf dem Arbeitsmarkt sind die Auswirkungen der negativen wirtschaftlichen Entwicklung deutlich zu spüren. Die Rezession der deutschen Wirtschaft hat auch im Mai und Juni 2009 die sonst übliche Frühjahrsbelebung deutlich überlagert. Die Zahl der Arbeitslosen in Schleswig-Holstein ist im Juni gegenüber dem Vorjahresmonat um fast 5.500 gestiegen und gegenüber dem Vormonat saisonbedingt nur um 1.900 zurückgegangen. Der immer noch relativ hohe Beschäftigungsstand ist vor allem der starken Nutzung des Instruments der Kurzarbeit geschuldet.

Damit sind insgesamt drei von vier Zielen des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes nicht erreicht. Es liegt eine gesamtwirtschaftliche Störung vor, die besondere Maßnahmen erfordert.

Bereits mit dem Ursprungshaushalt für 2009 und 2010 und mit dem 1. Nachtragshaushalt haben wir die Konjunkturpakete I und II, über die von den Ländern mit dem Bund verhandelt worden ist, auf den Weg gebracht. Wir haben für die schnelle Umsetzung der Vorhaben alle erforderlichen Schritte eingeleitet, um unserer Wirtschaft Wachstumsimpulse zu geben. Herr Kollege Kubicki, Sie haben vorhin darauf hingewiesen, dass dieser Haushalt nichts für Wachstum hergibt. Ich will Ihnen deshalb noch einmal die Zahlen nennen.

Wir haben in den Haushaltsjahren 2005 und 2006 1,4 Milliarden € für Investitionen ausgewiesen. In den Jahren 2007 und 2008 waren es 1,5 Milliarden €. In den Jahren 2009 und 2010 sind es 2,15 Milliarden €. Das sind 50 % mehr als in den Jahren 2005 und 2006. Ich glaube, das ist ein bedeutender Beitrag. Deshalb ist es auch nicht sinnvoll, in einer Zeit, in der Einnahmen wegbrechen, genau an diesen Stellen, wie es früher üblich war, Kürzungen vorzunehmen. Dazu dient im Übrigen auch die neue Schuldenbegrenzungsregelung. Sie ermöglicht uns Überbrückungsmaßnahmen in konjunkturell schwierigen Zeiten. Alles andere würde wie in früheren Jahren zu prozyklischem Verhalten führen und die Schwierigkeiten noch verstärken.

Nie zuvor hat es einen derartigen Absturz der öffentlichen Einnahmen in dieser Dimension und mit solcher Geschwindigkeit gegeben. Deshalb führt an der vorübergehenden Erhöhung der Neuverschuldung leider kein Weg vorbei. Ich bedauere das ausdrücklich. Bei den gegebenen wirtschaftlichen Rahmendaten gibt es finanzpolitisch aber keinen anderen sinnvollen Weg, der nicht mehr Schaden anrichten würde. Auf dem genannten Wege ermöglichen wir es, dass sich die Konjunktur nicht weiter abschwächt, indem öffentliche Investitionen ausfallen, sondern die automatischen Stabilisatoren ihre antizyklische Wirkung entfalten, wie wir alle hoffen und wie wir aus einzelnen Berichten, die uns erreichen, auch erkennen können.

Für die Einhaltung des Konsolidierungspfades – wir wollen den Blick auch über die Haushaltsjahre 2009 und 2010 hinaus richten – ist es wichtig, dass zumindest die zusätzlichen Zinsen, die wir aufgrund der zusätzlichen Kreditaufnahme nun aufwenden müssen, und die unabweisbaren Mehrausgaben – beides zusammen summiert sich auf etwa 80 Millionen € – in den laufenden Haushalten erwirtschaftet werden. Die Deckungslücke ist genannt worden. Ich brauche das Zahlenwerk nicht zu wiederholen. Die meisten kennen es ohnehin aufgrund des intensiven Studiums des Haushaltsgesetzes.

Wir werden trotz der Krise an unserem Ziel einer nachhaltigen und generationengerechten Politik festhalten. Wir werden bereits jetzt Regelungen für die Zurückführung der aufgenommenen Kredite treffen, um den weiteren Anstieg der Verschuldung einzugrenzen und die Tragfähigkeit des Haushalts für die Zukunft nicht durch eine unkontrollierbare Zinsbelastung zu gefährden.

Um dieses Ziel zu erreichen, haben wir in das vorliegende Gesetz eine Regelung aufgenommen, wonach die konjunkturell bedingten neuen Schulden wieder zurückgeführt werden. Herr Kubicki, wir haben in der Tat eine Sichtweise – diese haben wir übrigens auch im Finanzausschuss dargestellt ‑, was strukturelle Schulden und was konjunkturell bedingte Schulden sind und wie sie voneinander abzugrenzen sind. Über diese Sichtweise gibt es mit den anderen Ländern und dem Bund aber noch keine Verständigung. Es konnte sie auch noch nicht geben, weil die Regelung erst vor vier Wochen Bundestag und Bundesrat passiert hat und weil, soweit mir bekannt ist, auch der Bundespräsident das Gesetz bis heute noch nicht unterzeichnet hat. Das heißt, wir befinden uns in der Phase der Vorbereitung, eine Abstimmung herbeizuführen.

Wir wollen jedenfalls, dass das, was jetzt an zusätzlichen, konjunkturell bedingten neuen Schulden gemacht werden muss, im nächsten positiven Konjunkturzyklus wieder zurückgeführt wird. Für die Zurückführung wollen wir – deshalb kann man dem, wie ich glaube, auch grundsätzlich zustimmen, ohne das Zahlenwerk zu kennen – die Mittel einsetzen, die das Volumen der Einnahmen bei durchschnittlicher steuerlicher Entwicklung übersteigen. Ausgangspunkt ist dabei die normale Aufwärtsentwicklung. Wenn man sich zu dieser Lösung heute nicht bekennen will, so finde ich das vor dem Hintergrund aller anderen Erklärungen zur Konsolidierung, die man sonst hört, doch einigermaßen bemerkenswert.

Ich habe – das ist hier angeklungen – am Freitag vergangener Woche im Bundesrat gegen das Bürgerentlastungsgesetz gestimmt. Ich will hier noch einmal deutlich Folgendes sagen. Wenn alle Länder und der Bund Schleswig-Holstein bis 2013 Finanzhilfen in der Größenordnung von 240 Millionen € gewähren wollen, um einer Notsituation abzuhelfen, gleichzeitig aber ein einziges Gesetz beschließen, durch das Schleswig-Holstein mit 800 Millionen € in diesen drei Jahren belastet wird, dann konterkarieren sich diese beiden Entwicklungen gegenseitig. Deshalb sage ich: Wir müssen zukünftig aufpassen, welche Entscheidung wir sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der Ausgabenseite treffen.

Frau Spoorendonk, Ihr Einwand ist ja richtig, dass ein Teil dieses Gesetzes auf einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts basiert. Aber das Bundesverfassungsgericht hat an keiner Stelle entschieden, dass es keinerlei Kompensation für Einnahmeausfälle geben darf. Politikgestaltung beinhaltet beides. Ich finde, hier hat es sich der Bund sehr einfach gemacht, indem er ebenso wie bei Pendlerpauschale und anderen Gesetzen nur gesagt hat, wir setzen das um. Die Folge ist Einnahmerückgang. Wir haben hinreichend genug mit dem Bund über diese Maßnahmen geredet und deutlich gemacht, dass wir eine Kompensation erwarten, übrigens nicht nur für die Länder, sondern auch für den Bund, denn hier trifft ihn das Gleiche. Der Bund steigert seine Kreditaufnahme in diesem Jahr von geplanten 6 Milliarden € auf 86 Milliarden €. Ich halte es für notwendig, dass wir darüber ein bisschen mehr nachdenken.

Zu den strukturellen Maßnahmen, die hier seitens der Opposition kritisch angemerkt worden sind: Wir haben einen 2. Nachtrag für die Haushaltsjahre 2009 und 2010, um das finanziell sicherzustellen, was an Aufgaben enthalten ist. Aber wir wissen aus den Steuerschätzungen und den Prognosen sowohl der wissenschaftlichen Institute als auch der Bundesregierung, dass diese negative Einnahmeentwicklung weit über die Jahre 2009 und 2010 anhalten wird. Insofern ist es notwendig, sich bereits heute und nicht erst dann, wenn diese Haushaltsjahre abgeschlossen sind, über strukturelle Maßnahmen, über Entlastung der Kommunen und darüber Gedanken zu machen, auf welche Weise wir gesetzliche und nicht gesetzliche Leistungen des Landes reduzieren, um darauf zu reagieren, dass wir nach 2010 bezüglich der Einnahmesituation unter dem Niveau der Vergangenheit liegen. Wahrscheinlich werden wir erst 2013 das Einnahmeniveau des Jahres 2008 erreichen. Das wollten wir mit dem Hinweis in der Begründung zu diesem Haushaltsgesetz bereits heute deutlich machen. Dass dafür noch nicht alle strukturellen Maßnahmen, dass dafür noch nicht die Umsetzung dieser Notwendigkeiten im Detail vorgenommen worden sind, leuchtet jedem ein, der schon einmal Regierungspolitik betrieben hat. Aber das trifft ja nicht auf jeden in diesem Hause zu.

Meine Damen und Herren, Schleswig-Holstein hat keine Chance, Rundumsorglospakete anzubieten. Wir müssen Bürgern, Unternehmen, Vereinen, Verbänden, Organisationen reinen Wein einschenken und bereits heute sagen, dass künftig schwierige Zeiten auf uns zukommen. Alles, was auf Wunschlisten steht, kann nur durch Verzicht auf Leistungen an anderer Stelle finanziert werden. Wir haben gelernt: Kinder und Enkel haften für ihre Eltern.

(Beifall bei der CDU)