Herr Kehl hat schon das Wetter sondiert, Nachrichten gehört, mit dem Ministerbüro telefoniert und den heute 40-seitigen Pressespiegel abgeholt. Frühstück. Frischen Fruchtsalat mit Joghurt, zwei Scheiben von dem herrlichen dunklen Vollkornbrot, selbst geschnitten, dazu zwei Spiegeleier (ohne Speck - dieser Hinweis ist für meine Frau bestimmt!), ein Kännchen Kaffee, manchmal zwei.
In der Schleswig-Holstein-Vertretung warten mein Finanzreferent beim Bund, Ralf Martens, und der Chef-Koordinator aus dem Finanzministerium, Wolfgang Liethmann. Wolfgang Liethmann hat die Vorlagen für die Sitzung des Finanzausschusses und für die Finanzministerkonferenz detailliert vorbereitet und berichtet über den letzten Stand der Beratungen auf Arbeitsebene. Wo besteht Einvernehmen? Was ist auf der grünen Liste? Welches sind die noch offenen Diskussionspunkte? Wo gibt es keine Annäherung? Für jede Sitzung gibt es eine zusammenfassende Übersicht mit den Positionen der Länder, den Übereinstimmungen und den Abweichungen. Wir erörtern kurz mögliche Kompromisslinien, die sich in den Gesprächen auf verschiedenen Ebenen angedeutet haben.
Wir müssen nur kurz über die Straße gehen. Die Hessische Landesvertretung liegt unserer direkt gegenüber. Hessens Finanzminister Dr. Thomas Schäfer leitet. Wir besprechen zunächst die Tagesordnung des Finanzausschusses. Haushaltsgrundsätzegesetz – Hamburg will die Umstellung von der Kameralistik auf das kaufmännische Rechnungswesen ermöglichen. Ich stimme dem zu. Aber der Widerstand anderer Länder ist noch groß. Weiter: Gesetzentwurf über die Festsetzung eines Mindestlohnes – wird vertagt. Versicherungsaufsichtsgesetz. Landwirtschaftliche Sozialversicherung. Jugendfreiwilligendienste. Entschuldung mittelloser Personen. Eisenbahnneuorganisation. Geflügelpestverordnung. Risikostrukturausgleichsverordnung. Lohnsteuerrichtlinien. Steuerberatungsgesetz. Etwa 40 Punkte werden zügig und sachlich abgehandelt.
Dann geht’s an die Vorbereitung der Finanzministerkonferenz. 14 Punkte: Z.B. Systemwechsel bei der Mehrwertsteuer (Reverse Charge). Umgestaltung der Kfz-Steuer auf Wunsch des Bundes. Der Bund fummelt ständig an den Steuern herum, deren Aufkommen den Ländern zustehen. Wir bieten dem Bund an, die Kfz-Steuer zu übernehmen, natürlich gegen einen angemessenen Finanzausgleich an anderer Stelle. Bewertungsrecht bei Erbschafts- und Schenkungssteuer. Lohnsteuerzerlegung. Hochschulinformationssystem. Haushalt der Richterakademie. Errichtung einer gemeinsamen Taskforce zur Sicherung des Steueraufkommens.
Besonders hoch her geht es bei der Erbschaftsteuer. Meine Auffassung dazu ist bekannt: Wir müssen die Koalitionsvereinbarung zur Entlastung beim Betriebsübergang auf die nächste Generation und das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes umsetzen. Das ist zwar mit dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf möglich, führt aber m.E. wegen der komplizierten Regelungen zu einer Flut von neuen Klagen und einem nicht mehr leistbaren Verwaltungsaufwand. Ich empfehle deshalb, jetzt nur das absolut Notwendige zu tun und dann – mit Sorgfalt - dieses Gesetz zu beerdigen. Das Steueraufkommen kann durch eine moderate Erhöhung des Spitzensteuersatzes erzielt werden. Die Meinungen gehen – noch? - weit auseinander.
Keine fünf Autominuten von der Hessischen Landesvertretung liegt das Gebäude das Bundesrates. Es grenzt unmittelbar an das Bundesfinanzministerium. Im Obergeschoss ist der Sitzungssaal für die Ausschusssitzungen.
Norbert Walter-Borjans, Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, eröffnet die Sitzung des Finanzausschusses. Der Parlamentarische Staatsekretär des Bundesfinanzministers ist anwesend. Von den 40 Punkten stehen 35 auf der grünen Liste. Einvernehmen. Zu den übrigen fünf Punkten gibt es jeweils eine knappe Erklärung der A- und B-Sprecher. Diskussionsbeiträge einzelner Teilnehmer. Abstimmung. Fertig zur abschließenden Befassung im Plenum des Bundesrates. Schaufensterreden muss man hier nicht halten. Es sind ja keine Medien zugelassen.
Der Vorsitz in der Finanzministerkonferenz (FMK) wechselt jährlich. Dieses Jahr ist es der norrhein-westfälische Finanzminister Walter-Borjans. Das besondere an der FMK ist, dass sie alle vier Wochen in Anwesenheit der meisten Finanzminister stattfindet. Da aber bei fast allen politischen Entscheidungen Haushalts-, Finanz- oder Steuerfragen zur Behandlung mit anstehen, ist die regelmäßige Anwesenheit der politischen Hausspitzen erforderlich, um abschließende Entscheidungen zu treffen oder entsprechende Weisungen an die Arbeitsebenen zu vereinbaren. Das ist bei den anderen Ressorts nicht so umfänglich der Fall. So treffen sich die Finanzministerinnen und Finanzminister sehr häufig. Und deshalb gibt es – auch über Parteigrenzen hinweg und trotz vieler sachlicher Differenzen – ein überwiegend gutes Miteinander.
Nach der Abarbeitung der grünen Liste geht es nur noch um zwei Punkte, wovon einer streitig und einer außerordentlich einig verhandelt wird. Streitig geht es um Details der Erbschaftsteuerreform. Hier prallen die A- und B-Positionen ebenso aufeinander wie im Bundestag.
Übereinstimmung gibt es dagegen bei der Kfz-Steuer. Der Bund will nun aus der ohnehin schon verwaltungsaufwändigen Steuer noch eine CO2-Steuer machen. Damit müssen die Kraftfahrzeuge in einem komplizierten Regelwerk neu bewertet werden. (In Schleswig-Holstein gibt es davon 1,2 Millionen!) Mehr Geld kommt dabei nicht in die Kassen. Die Steuer soll sich künftig nach dem Schadstoffaussstoß bemessen, der im Prospekt angegeben ist. Ich nenne das Prospektbesteuerung. Welch ein Unsinn. Für ein Auto, das theoretisch einen hohen Verbrauch hat, aber nur wenig gefahren wird, tatsächlich also wenig Schadstoff ausstößt, wird eine hohe Steuer verlangt. Für ein Fahrzeug, das theoretisch einen niedrigen Verbrauch hat, aber von morgens bis abends für einen Pizza-Service fährt, also tatsächlich viel Schadstoff ausstößt, wird eine niedrige Steuer verlangt. Das Ganze nennt man auch noch Klimaschutz. Mein Vorschlag: Der Bund übernimmt die Kfz-Steuer, die Länder erhalten einen angemessenen Ausgleich für ihren Steuerausfall. So hat der Bund alle Verkehrssteuern (Mineralölsteuer, Mautgebühr und Kfz-Steuer) in seiner Hand und kann klima- und steuerpolitisch allein entscheiden. Und vielleicht dabei auch noch Bürokratie abbauen? Seit Jahren schlage ich vor, auch auf diese Steuer zu verzichten und das Aufkommen durch einen Zuschlag auf die Mineralölsteuer zu sichern. Dann zahlt mehr, wer viel fährt – und viel Schadstoff ausstößt.
Gespräch mit Dr. Ole Schröder, Bundestagsabgeordneter, Sprecher der CDU-Landesgruppe im Bundestag und Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesinnenminister. Auch hier geht um die drei wesentlichen steuerpolitischen Vorhaben: Erbschaftsteuer, Kfz-Steuer, Mehrwertsteuer. Wir sind uns weitgehend einig: Was in der Koalition vereinbart worden ist, muss jetzt gemacht werden. Aber es gibt eine Zeit danach.
Etwa fünfzig Besucher aus meinem Wahlkreis besuchen die Landesvertretung. Sie halten sich zwei Tage in der Bundeshauptstadt auf, besuchen den Bundestag, den Bundesrat und verschiedene Ministerien. Ich erläutere bei Kaffee und Kuchen die Aufgaben unserer Botschaft in Berlin und die Mitwirkung der Landesregierung an der Gesetzgebung des Bundes. Und die besonderen Schleswig-Holsteinischen Interessen. Und immer, wenn mehr als drei Menschen zusammen stehen, gebe ich einen Einblick in die Finanzlage unseres Landes. Immer wieder stelle ich fest, dass viele Menschen durch oberflächliche Berichterstattung in den Medien einen völlig falschen Eindruck davon haben, wie schwierig die Lage unseres Landes ist.
Unsere Vorschläge zur Reform der Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Ländern ziehen sich wie ein roter Faden durch alle Beratungen der Finanzthemen. Inzwischen habe ich die Hälfte der Finanzminister der Länder besucht, um ihnen meinen Vorschlag für einen Altschuldentilgungsfonds zu erläutern. Heute Abend bin ich nacheinander mit zwei Kollegen verabredet.
Um das Thema Schuldengrenze geht es auch bei einer Podiumsdiskussion im Wissenschaftlichen Zentrum am Reichpietschufer in Berlin. Neben mir sitzt Oswald Metzger (damals noch bei den Grünen) und der FDP-Bundestagsabgeordnete Ernst Burgbacher im Podium. Ich erläutere meine Position: Die Beseitigung der aufgelaufenen Schulden ist eine historische Verpflichtung. Die Länder und ihre Kommunen haben einen Schuldenberg von über 600 Milliarden Euro Kreditmarktschulden aufgetürmt. Dazu kommen etwa 750 Milliarden Euro Barwert der eingegangenen und nicht gedeckten Pensionsverpflichtungen.
Diese Verschuldung, zu der noch die Schulden des Bundes in Höhe von 1.300 Milliarden Euro Kapitalmarkt- und 50 Milliarden Euro Pensionsverpflichtungen hinzuzurechnen sind, entstanden in der Zeit von 1969 bis heute. In weniger als vierzig Jahren. In zwei Generationen also. Die heutige Politikergeneration hat den wesentlichen Teil dieser Zukunftsbelastungen zu verantworten. Es muss daher auch Aufgabe dieser Politikergeneration sein, die in ihrer Verantwortung entstandene Belastung in einem etwa gleich großen Zeitraum wieder zu beseitigen und nicht einfach übernächsten Generationen zur Lösung zu überlassen. Diese werden in ihrer Zeit vor ganz neuen Herausforderungen stehen. Und es wäre geradezu verwerflich, sie zusätzlich auch noch die Lasten unseres heutigen Wohlstandes bezahlen zu lassen, dessen wir uns weltweit rühmen. Notwendig ist dazu, so führe ich aus, ein umfassendes Bündel von Maßnahmen, das verbindliche Vereinbarungen über die Rückführung der aufgelaufenen Schulden sowie bereits eingegangene Verpflichtungen trifft, alle Länder gleichermaßen in die Lage versetzt, ihren Aufgaben grundsätzlich ohne Kreditaufnahme nachkommen zu können, eindeutige Grenzen für die Aufnahme neuer Schulden und das Eingehen neuer Verpflichtungen definiert sowie ein permanentes und wirksames Haushaltscontrolling installiert. Für die sich anschließende guten Dialoge sorgt auch ein interessiertes und sachkundiges Publikum.
Gegen 23.25 Uhr im Hotel