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Mitteilung vom 22. Juni 2011MEILENSTEINE ZU EINEM EINFACHEN UND GERECHTEN STEUERSYSTEM

Finanzminister Rainer Wiegard: EINFACH GERECHT – DEUTSCHLAND BRAUCHT EINEN ZUKUNFTSPLAN STEUER 2020

Leitsatz: Deutschland braucht eine verlässliche Steuerpolitik, die sich nicht weiter an politischer Tagesaktualität orientiert, sondern die Lösungen zu den bekannten steuerpolitischen Mängeln in einem erkennbaren ordnungspolitischen Korridor bündelt und in einem überschaubaren Zeitraum in mehreren Stufen bis 2020 umsetzt. Deutschland braucht einen Zukunftsplan Steuer 2020.

Die Steuerpolitik in Deutschland ist – insbesondere in den letzten zehn Jahren – von tagespolitischen Entscheidungen und Gerichtsbeschlüssen mit entsprechenden Konsequenzen geprägt. Dadurch ist das ohnehin schon komplizierte deutsche Steuerrecht zunehmend undurchschaubar geworden.

Schon 2003 haben wir festgestellt: Ein derart kompliziertes System provoziert Ausweichreaktionen und Rechtsverweigerung. Wenn wir vom Bürger Steuerehrlichkeit und Rechtstreue erwarten, dann kann der Bürger von uns verlangen, dass wir ihm Gesetze vorlegen, die er versteht. Bösartige könnten im Umkehrschluss folgern: Ein demokratischer Rechtstaat kann von seinen Bürgern nur dann Rechtsgehorsam erwarten, wenn seine Gesetze für den durchschnittlich begabten und verständigen Bürger ohne Hinzuziehung von spezieller Literatur und ohne aufwändige und kostspielige Rechtsberatung aus sich selbst heraus lesbar, in ihren Grundzügen verständlich und nachvollziehbar sind. Wir fordern aber derzeit deutlich mehr vom Bürger.

Herr und Frau Bürger müssen aus der Steuergesetzgebung den Grund und die Höhe der verlangten Besteuerung erkennen können. Das können sie aus unseren gegenwärtigen Steuergesetzen, insbesondere bei der Mehrwertsteuer und der Einkommensteuer, nicht mehr.

Immer mehr detaillierte Regelungen sollen zwar mehr Einzelfallgerechtigkeit schaffen, machen aber die Anwendung des Steuerrechts unübersichtlich, unverständlich und beratungsintensiv und dadurch ungerecht – und betrugsanfällig. Vom tagespolitischen Geschehen gesteuerte Entscheidungen in der Steuergesetzgebung und daraus folgende notwendige Korrekturen haben das Vertrauen der Steuerbürger in ein verlässliches System der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ziemlich erschüttert. Teilweise haben wir es bereits mit einer Verhöhnung unseres Steuerrechts zu tun. Und jährlich vergrößert sich auch die Verzweiflung derjenigen Menschen in Deutschland, die steuerehrlich sein wollen, die es aber immer weniger sein können, weil sie immer weniger verstehen können, was ihnen der Steuergesetzgeber vorlegt.

Die Notwendigkeit für ein einfaches und transparentes Steuerrecht ist im globalen Wettbewerb nicht kleiner geworden, sondern vergrößert sich ständig.

Deshalb ist es auch nicht sinnvoll, wie derzeit praktiziert, jede einzelne steuerliche Problematik jeweils nur innerhalb der Einzelproblemstellung lösen zu wollen. Unsere Steuerpolitik ist durch ordnungspolitische Lenkungsmaßnahmen und Einzelregelungen derart vernetzt, dass eine Einzelbetrachtung von Steuerarten nicht die gesamtheitlichen ordnungspolitischen Ziele berücksichtigen kann.

Deutschland braucht eine verlässliche Steuerpolitik, die sich nicht weiter an politischer Tagesaktualität orientiert, sondern die Lösungen zu den bekannten steuerpolitischen Mängeln in einem erkennbaren ordnungspolitischen Korridor bündelt und in einem überschaubaren Zeitraum in mehreren Stufen bis 2020 umsetzt.

Die von der Koalition eingesetzte (Mehrwertsteuer-)Kommission soll als SteuerStrukturKommission kurzfristig einen Vorschlag für einen ZUKUNFTSPLAN STEUER 2020 vorlegen, der die wesentlichen erkannten steuerrechtlichen Probleme darstellt und eine gesamtheitliche Lösung mit einer klaren ordnungspoltischen Orientierung aufzeigt.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass in demselben Zeitraum bis 2020 die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte vorrangiges politisches Ziel und zugleich der Finanzausgleich neu zu regeln ist.


Das geltende Steuerrecht ist unübersichtlich und aufwändig.

Unterschiedliche Ziele überfrachten das Steuerrecht und heben sich sogar teilweise auf. Der Versuch, mit Hilfe der Steuerpolitik das Verhalten der Menschen in unserer Gesellschaft zu lenken, kann nur in wenigen Einzelfällen gelingen.

Der ermäßigte Umsatzsteuersatz hat zurzeit ein Begünstigungsvolumen von ca. 24 Milliarden Euro. Dies begünstigt zwar auch die eigentliche Zielgruppe, die Bezieher niedriger Einkommen. Allerdings beträgt ihr Begünstigungsvolumen nur ca. 13 Prozent, also gut drei Milliarden Euro. Soll die Begünstigung also aus sozialen Gründen erfolgen, wären so 87 Prozent oder 21 Milliarden Euro fehlgeleitet. Die beabsichtige Lenkungswirkung wird völlig verfehlt.

Die Lenkungsziele widersprechen sich, wenn mit der Kaffeesteuer eine besondere Verbrauchsteuer auf Kaffee erhoben, aber zugleich bei der darauf fälligen Umsatzsteuer aus sozialen Erwägungen (steuerliche Begünstigung von Nahrungsmitteln) der ermäßigte Steuersatz angewendet wird.

Der ermäßigte Steuersatz für Hotelübernachtungen zur Verbesserung des Wettbewerbs und eine kommunale Bettensteuer widersprechen sich ebenso wie die Befreiung des Luftverkehrs bei der Energie- und Umsatzsteuer zur Sicherung seiner Wettbewerbsfähigkeit und die Erhebung einer Luftverkehrsabgabe für grenzüberschreitende Flüge.

Allein vier verschiedene Steuergesetze regeln den Verkauf von Alkohol: Branntweinmonopolabgabe, Sektsteuer, Biersteuer und Alkopopsteuer. Eine fünfte, die Weinsteuer, wird nicht erhoben.

Drei verschiedene Abgaben belasten insbesondere die Straßenverkehrsteilnehmer: Kraftfahrzeugsteuer, Mineralölsteuer und Maut.

Die Gewerbesteuer ist eine zusätzliche, immens komplizierte Wirtschaftssteuer, die zugleich der Verteilung der Finanzmittel zwischen den politischen Ebenen (Gemeindefinanzierung) dient , zu einem bedeutenden Teil bei der Einkommen¬steuer wieder steuermindernd angerechnet wird, was hier erneut zu einer Umverteilung der steuerlichen Einnahmen zwischen den politischen Ebenen führt. Das ist kompliziert, intransparent und teuer in der Administration für Steuerzahler wie für die Steuerverwaltung.

Es ist nicht die Aufgabe des Steuerrechts, die Mittelverteilung zwischen den politischen Ebenen zu regeln, weil die sich nicht auf vernünftige Verteilungsmechanismen einigen können.

Die Förderung wirtschaftspolitischer, umweltpolitischer oder anderer Zwecke über steuerrechtliche Regelungen ist zwar weit verbreitet. Sie kompliziert aber das geltende Recht, führt zur Fehlleitung von Subventionen und ist finanzpolitisch nur schwer beherrschbar. Die Höhe des Fördervolumens ist nicht begrenzbar und nicht transparent, da jeder Steuerzahler diese Förderung in Anspruch nehmen kann. Durch die Kopplung an den Steuerzahlbetrag entfällt die gewollte Förderung, wenn die Steuer nicht zu zahlen ist. So ist in Verlustjahren eine Förderung über Ertragsteuern nicht wirksam, wenn keine Ertragsteuern zu zahlen sind.

Darüber hinaus fehlt es bei steuerlichen Förderungen regelmäßig am Merkmal der Zusätzlichkeit. Dies führt zu nicht gewollten Mitnahmeeffekten. So ist die entsprechende steuerliche Förderung von Schornsteinfegerleistungen (§ 35a EStG) nicht notwendig, wenn die Durchführung dieser Leistungen ohnehin ordnungsrechtlich vorgeschrieben ist. Eine besondere Lenkungswirkung wird hiermit also nicht erzielt.

Förderungen können in der Sache erforderlich sein. Allerdings ist das Steuerrecht in der Regel nicht das richtige Instrument. Das Steuerrecht muss daher um solche zweifelhaften Lenkungsmaßnahmen bereinigt werden.


Meilensteine zu einem einfachen und transparenten
ZUKUNFTSPLAN STEUER 2020

MEILENSTEIN STEUERVEREINFACHUNG UND EFFIZIENZ DER STEUERVERWALTUNG

Steuervereinfachung reduziert Verwaltungsaufwand
Einfache Regelungen und Pauschalierungen reduzieren den Aufwand für die Steuerbürger, vor allem aber auch den Administrationsaufwand der Steuerverwaltung erheblich. Die von Hessen und Schleswig-Holstein vorgeschlagene Splittung der ArbeitnehmerPauschale kann rd. fünf Millionen bisher abzugebende Steuererklärungen überflüssig machen.

Elektronische Steuererklärungen
Die Zahl der derzeit elektronisch übermittelten Steuererklärungen soll durch entsprechende Marketingmaßnahmen und eine verbesserte Anwenderfreundlichkeit deutlich gesteigert werden. Spätestens ab 2020 soll die elektronische Übermittlung als Regelanwendung eingeführt sein. Die Vorlage von Belegen wird entsprechend zurückgeführt.

Managementsysteme in der Steuerverwaltung
Die vorhandenen RisikoManagementsysteme in der Steuerverwaltung müssen verstärkt weiterentwickelt werden, um kostenintensive Prüfungen auf relevante Bereiche konzentrieren zu können.

Streichen von Steuerarten
Die Kraftfahrzeugsteuer kann entfallen. Ihr Aufkommen wird auf Mineralölsteuer und Maut umgelegt.

Mit der Streichung der Ermäßigung bei der Mehrwertsteuer kann zugleich die Kaffeesteuer abgeschafft werden.

Ein einheitliches Gesetz für eine Steuer auf Alkohol kann die vier bisherigen Regelungen ersetzen.

Die Rennwett- und Lotteriesteuer, die Spielbankabgabe und die Umsatzsteuer auf Spiele können zu einer Spielesteuer zusammengeführt werden.


MEILENSTEIN EINKOMMENSTEUER

Die übermäßige Belastung mittlerer Einkommen (Mittelstandsbauch) wird reduziert.

Zur weitgehenden Vermeidung der kalten Progression soll die steuerliche Tarifgrundlage künftig alle drei Jahre oder bei Überschreiten der Entwicklung der Lebenshaltungskosten von sechs Prozent angepasst werden.

Der Solidaritätszuschlag entfällt mit der Neugestaltung des Finanzausgleichs spätestens 2020.

Jeder Bürger muss in der Lage sein, seine Steuer auf der Basis einer einfachen Bemessungsgrundlage selbst auszurechnen. Deshalb soll die Einkommensteuer mit einem vier- bis fünfstufigen Staffeltarif berechnet werden. Der Eingangssteuersatz sollte weiterhin bei etwa 14 Prozent, der Spitzensteuersatz bei etwa 45 Prozent liegen.

Die Besteuerung ist so auszurichten, dass bereits durch den Lohnsteuerabzug und die Abgeltungssteuer die endgültige Steuerbelastung erreicht wird. Für weiterhin gewollte Ausnahmeregelungen sind Pauschalierungen vorzusehen.


MEILENSTEIN MEHRWERTSTEUER

Der derzeitige Mehrwertsteuer-Regelsatz kann von derzeit 19 Prozent auf etwa 16 Prozent gesenkt werden.

Ermäßigungen auf den Steuersatz von sieben Prozent werden im Zusammenhang mit anderen steuerlichen Maßnahmen für ein einfaches und transparentes Steuerrecht weitgehend aufkommensneutral beseitigt.

Für Bezieher von Transferleistungen und Niedrigeinkommen erfolgt ein entsprechender Ausgleich, soweit die Streichung von Ermäßigungen nicht durch die Senkung des Regelsteuersatzes kompensiert wird.

Die Steuerschuldnerschaft geht vom Rechnungssteller auf den Leistungsempfänger über (Reverse-Charge).

Die Umsatzbesteuerung soll sich langfristig an den Zahlungsflüssen ausrichten (IST-Besteuerung).


MEILENSTEIN UNTERNEHMENSBESTEUERUNG

Wettbewerbsneutrale Gleichmäßigkeit der Besteuerung
Die Besteuerung muss im Inland, im Binnenmarkt und global weitgehend wettbewerbsneutral ausgestaltet werden. Deshalb ist eine Unternehmensbesteuerung anzustreben, die dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung folgt, die unterschiedliche Besteuerung von Eigenkapital- und Fremdfinanzierung weitgehend nivelliert sowie ein System der Gruppenbesteuerung, das für Unternehmen und Verwaltung einfach zu handhaben ist. Hierzu gehört auch die steuerneutrale Umstrukturierung von Unternehmen.

Gewerbesteuer
Die Besteuerung muss sich nach der Leistungsfähigkeit richten. Eine Besteuerung der Substanz steht dazu im Widerspruch. Die in der großen Koalition eingeführten ertragsunabhängigen und die Substanz belastenden Hinzurechnungen bei der Gewerbesteuer sollen deshalb aufkommensneutral rückgängig gemacht werden. Der Ausgleich kann über eine entsprechende Erhöhung der Körperschaftsteuer erfolgen.


MEILENSTEIN KOMMUNALSTEUERN

Gewerbesteuer
Für die Rücknahme der Substanz besteuernden Hinzurechnungen erhalten die Gemeinden den Ausgleich über einen entsprechenden Umsatzsteueranteil.

Steuerliches Zuschlagsrecht bei Kommunalfinanzen
Zur individuellen Steuerung der Finanzierung ihrer Aufgaben erhalten die Gemeinden ein Zuschlagsrecht auf die Lohn-/Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer.

Grundsteuer
Die Grundsteuer wird reformiert. Auf der Basis einer einfachen und transparenten Bemessungsgrundlage werden die Kommunen in die Lage versetzt, die Steuer vollständig selbst zu verwalten. Hierdurch entfällt die Einheitsbewertung.

MEILENSTEIN STEUERLICHE FÖRDERUNGEN

Weiterhin als unverzichtbar erachtete Förderungen werden weitgehend aus dem steuerlichen Bereich ausgelagert und stattdessen für mehr Transparenz und Zielsicherheit durch zeitlich befristete direkte Förderprogramme ersetzt.

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