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Reden im Archiv Debatten aus dem Landtag
Rede vom 20. November 2009Debatte über Schuldengrenze im Landtag

Rainer Wiegard: Wir haben nicht das Recht, noch nicht geborene Generationen mit Schulden zu belasten, um heute angenehmer leben zu können.

Ich bitte nun die Landesregierung um den Bericht. Das Wort hat Herr Finanzminister Rainer Wiegard.

Rainer Wiegard, Finanzminister:
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines eint inzwischen offenbar alle Fraktionen dieses Hauses, nämlich die Erkenntnis, dass wir endlich mit dem Wahnsinn Schluss machen müssen, der übrigens in diesem Jahr seinen 40. Geburtstag feiert, und zwar die Änderung der Finanzverfassung von 1969 der ersten großen Bonner Koalition. Daraus hat sich die Entwicklung ergeben, dass Jahr für Jahr neue Schulden auf die bereits vorhandenen aufgetürmt wurden, weil die Verfassung es erlaubt hat, in jedem Jahr so viele neue Schulden zu machen, wie investiert wird.

Wir wissen, wir brauchen Nachhaltigkeit vor allen Dingen in der Finanzpolitik. Wir können und dürfen regelmäßig nur so viel ausgeben, wie wir auch erwirtschaften und wie wir aus dieser Erwirtschaftung einnehmen. Regelmäßig – wie bisher – mehr auszugeben als einzunehmen bedeutet, dass wir unseren heutigen Lebensstandard auf Kosten heute noch nicht geborener Generationen einrichten.

Wer diese Erkenntnis gewonnen hat, braucht eigentlich keine Verfassungsregel, die ihn dazu zwingt, dieser Logik moralischen Handelns gegenüber künftigen Generationen zu folgen,

(Beifall bei der CDU)

egal, ob sie im Grundgesetz oder in der Landesverfassung verankert ist.

Denn die finanzielle Ausgangslage ist seit Langem eindeutig:
Wir geben inzwischen eine Milliarde Euro für Zinsen für alte Schulden aus und eine weitere für Pensionsleistungen für Beamte, für die in der Vergangenheit keine Vorsorge getroffen worden ist. Das sind zusammen zwei Milliarden Euro, und damit haben wir fast jeden dritten eingenommen Steuereuro nur für die Bezahlung von Vergangenheit ausgegeben – nicht für Zukunft, nicht für Familie, nicht für Kinderbetreuung, nicht für die Bildung unserer Kinder, die wir alle so hochhalten, und nicht für den Ausbau einer zukunftsfähigen Infrastruktur.

Wenn wir das Niveau unserer heutigen Ausgaben – ohne es zu steigern – dauerhaft fortschreiben und lediglich eine jährliche Tarifsteigerung von zwei Prozent für unsere Beschäftigten einrechnen, dann wird unser strukturelles Defizit bei regelmäßigem Wachstum der Einnahmen um 2,5 % jährlich im Jahr 2020 auf über zwei Milliarden Euro steigen, der Schuldenstand auf über 43 Milliarden Euro, und die Zinslast daraus wird sich mit 2,3 Milliarden Euro mehr als verdoppeln.

Dabei tröstet nicht im Geringsten, dass die heutige Situation schon deutlich besser als die vor vier Jahren ist. Denn bis 2005 war das Defizit im Haushalt mit 1,7 Milliarden € mehr als doppelt so hoch wie die damalige Zinslast. 2008 haben wir einen Abschluss vorgelegt, in dem der Fehlbetrag mit weniger als 300 Millionen € gerade noch ein Drittel der Zinslast betrug.

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie rechnen sich die Welt aber auch schön, Herr Wiegard!)

- Frau Kollegin Heinold, von Ihnen hätte ich diesen Zwischenruf am wenigsten erwartet, denn Sie sind im Wesentlichen dafür verantwortlich. Aufgrund Ihres Zwischenrufes will ich für Sie gern noch einmal wiederholen, was ich in jeder Sitzung zu diesem Thema sagen werde:

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

- Sie beide sind dafür verantwortlich, dass es in keinem einzigen Jahr der rot-grünen Regierungszeit geschafft wurde, einen Haushalt vorzulegen, der den Vorschriften der Verfassung entspricht. In keinem einzigen Jahr!

(Beifall bei CDU und FDP – Zuruf des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

- Herr Kollege Stegner, der entscheidende Unterschied zwischen Ihrer Politik und unserer ist der, dass wir unter meiner Verantwortung die ungeplant eingegangenen Steuermehreinnahmen vollständig zur Senkung der Neuverschuldung verwendet haben.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Sie waren es, der uns bei den ersten Anzeichen einer leichten Verbesserung im Frühjahr 2007 aufgefordert hat, vorher gemeinsam beschlossene Ausgabenbegrenzungen wieder zurückzunehmen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Deshalb sage ich noch einmal: Es tröstet überhaupt nicht, dass die Situation heute ein bisschen besser ist als zu Ihrer Zeit. Aber zu Ihrer Zeit war noch nicht einmal die Erkenntnis vorhanden, dass es überhaupt ein Problem gibt. Darauf mussten wir erst hinarbeiten. Ohne die erdrückenden Altschulden hätten wir im Jahre 2008 einen Überschuss von 600 Millionen Euro erwirtschaftet. Das macht die Dimension des Problems deutlich.

Das zeigt, wie wichtig es ist, das Anwachsen der Schulden endlich zu stoppen. Es zeigt aber auch, dass ein ausgeglichener Haushalt ohne Neuverschuldung im Jahr 2020 nicht etwa das Ziel ist, sondern nur ein Zwischenschritt auf dem Weg, den bis dahin angehäuften Schuldenberg wieder abzubauen. Deshalb werden wir die gegen Ende dieser Wahlperiode anstehenden Beratungen über den Länderfinanzausgleich wieder dazu nutzen, die Frage des Abbaus der Staatsverschuldung auch in diesem Zusammenhang auf die Tagesordnung zu setzen.
Dies zeigt auch, dass es die Lage ist, die uns zum Handeln zwingt, und nicht etwa eine Regel in der Verfassung – gleich, wo sie geregelt ist.
Die weltweit wirkende wirtschaftliche Rezession hat uns bei der weiteren Senkung der Neuverschuldung einen mächtigen Brocken in den Weg gelegt. Sie darf uns aber nicht daran hindern, diesen Weg konsequent zu gehen. Deshalb hat diese Koalition fest vereinbart, dass die Aufnahme von Krediten zum Haushaltsausgleich ab dem Jahr 2020 in konjunkturellen Normallagen nicht mehr zulässig ist.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Axel Bernstein [CDU])

Über- und unterdurchschnittliche konjunkturelle Entwicklungen müssen sich in einem Zyklus ausgleichen. Das haben Plisch und Plum damals übrigens auch schon so gewollt; es hat sich nur niemand daran gehalten. Nur in außergewöhnlichen Notsituationen und bei Naturkatastrophen soll eine Kreditaufnahme zulässig sein. Diese Kreditaufnahme setzt dann eine qualifizierte Mehrheit im Landtag voraus und ist künftig mit einem verbindlichen Tilgungsplan zu verbinden. Diese Regelung wollen wir in unserer Landesverfassung anstelle der bisherigen Regelungen verankern. Wir werden dem Landtag deshalb so rechtzeitig einen Vorschlag zur Änderung der Landesverfassung vorlegen, dass entsprechende Beschlüsse bis zur Jahresmitte 2010 gefasst werden können.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich bitte Sie um Verständnis, wenn ich die Frage nach dem Stand der Vorbereitungen einer Klage des Landtags gegen die die Länder verpflichtende Regelung im Grundgesetz nicht beantworte. Denn diese Frage richtet sich an Sie selbst, und ich werde mir nicht das Recht herausnehmen, für die Landesregierung eine Erklärung im Namen des Landtags abzugeben.

Wir wollen das strukturelle Defizit bis 2020 auf null reduzieren. Bei der Einhaltung des Defizitabbaupfades erhalten wir Konsolidierungshilfen von insgesamt bis zu 720 Millionen € bis zum Jahr 2020. Voraussetzung ist allerdings, dass wir Jahr für Jahr etwa 10 % des strukturellen Defizits aus dem Jahr 2010 abbauen. Dies werden wir gegenüber dem Stabilitätsrat nachweisen müssen, und das werden wir im Rahmen der bundesstaatlichen Finanzordnung entsprechend zu organisieren haben.

Voraussetzung für die Darstellung eines kontinuierlichen Defizitabbaupfades ist ein Konjunkturbereinigungsverfahren. Mit diesem Verfahren werden der Ausgangswert des Jahres 2010 bestimmt und die jährlichen Tilgungsschritte festgelegt. Über die Eckpunkte eines solchen Bereinigungsverfahrens wird derzeit mit dem Bund und den anderen Ländern verhandelt. Wir werden dem Finanzausschuss Anfang des Jahres über den Stand der Beratungen informieren.

Noch vor einem Jahr konnte man eine solche Trendberechnung auf Basis der Vergangenheitsentwicklung ohne größere Probleme durchführen. Aber die Wirtschafts- und Finanzkrise stellt einen dramatischen Strukturbruch dar, und solche Brüche haben die Angewohnheit, dass sie Trendverschiebungen zur Folge haben. Deshalb wird die große Steuerschätzung im Mai 2010 Auskunft darüber geben, wie stark dieser Strukturbruch voraussichtlich sein wird, und der Bund wird sich bis dahin erklären müssen, inwieweit er Strukturen zusätzlich verändern will; die entsprechende Diskussion werden wir in der heutigen Tagung noch im Rahmen eines eigenen Tagesordnungspunktes führen.

Auf der Grundlage der großen Steuerschätzung im Mai 2010 werden wir Ihnen eine langfristige Finanzplanung bis zum Jahr 2020 und eine mittelfristige Finanzplanung für das laufende Haushaltsjahr und die nächsten Haushaltsjahre vorlegen sowie die Anforderungen an die nächsten beiden Haushalte ableiten.

Ich habe die Ausgangslage noch einmal dargestellt, weil viele neue Mitglieder in diesem Hause sind, die die bisherige Diskussion in dieser Tiefe nicht mitverfolgen konnten. Es wird deutlich, dass es ein „Weiter so!“ nicht geben darf und nicht geben kann. Es wird deutlich, dass neben einer Stabilisierung der Einnahmen durch stetiges Wachstum auch Ausgabekürzungen unumgänglich sind. Ich betone dies, weil Einzelne offensichtlich immer noch glauben, ein strukturell ausgeglichener Haushalt sei möglich, ohne dass die Bürger es merken.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Mit Steuersenkungen geht es am besten!)

- Herr Kollege Stegner, der größte Steuersenker in der Geschichte ist offensichtlich Herr Steinbrück. Er hat uns in Schleswig-Holstein Mindereinnahmen in der Größenordnung von 300 Millionen Euro beschert und sich dann mit der Nachricht verabschiedet, dass es für Steuersenkungen keinen Spielraum gibt. Das ist eine bemerkenswerte Logik, Herr Kollege.

(Beifall bei CDU und FDP – Zurufe)

- Meine Damen und Herren, ich komme zurück zu denen, die der Meinung sind, dass wir ohne Reduzierung des Personalbestandes und ohne Kürzung öffentlicher Leistungen einen ausgeglichenen Haushalt herstellen können. Wer dies will, muss jährlich etwa zwei Milliarden Euro mehr einnehmen, als wir ohnehin in der durchschnittlichen Entwicklung bereits unterstellt haben. Politischer Wille ersetzt nun einmal nicht die vier Grundrechenarten. Nur damit diejenigen, die sich mit diesen Gedanken befassen, annähernd wissen, worüber sie eigentlich reden: Um dies zu erreichen, müssten Sie zum Beispiel die Umsatzsteuer verdoppeln auf etwa 36 Prozent, oder sie müssten die Lohnsteuer verdoppeln.

(Zurufe)

Auch die nun aus der Mottenkiste herausgeholte Vermögensteuer, die zu reaktivieren wäre, ist keine Lösung.

(Andreas Beran [SPD]: Trägt aber dazu bei!)

Ihr Aufkommen müssten Sie verzwanzigfachen, um eine entsprechende Wirkung zu erzielen. Das hätte allerdings zur Folge, dass Sie das nicht dauerhaft machen können, sondern nur fünf Jahre, dann sind die Vermögen weg, und dann gibt es aus den Vermögen keine Erträge mehr.

(Zurufe von der SPD)
Dann gibt es auch keine Steuern auf diese Erträge mehr. Dann ist das Ziel einer ganzen Reihe von Salonsozialisten, Herr Kollege Stegner, erreicht: Alle sind gleichermaßen arm.

(Beifall bei CDU und FDP)

Deshalb warne ich auch dringend davor, die Ausgaben für immer mehr öffentliche Aufgaben relativ an das Bruttoinlandsprodukt zu koppeln. Es ist inzwischen Mode geworden, alles am BIP zu orientieren, auch wenn der Zusammenhang nicht wirklich erkennbar ist. Es kann doch nicht Ziel sein, dass mit einer für alle geltenden Excel-Tabelle die Verteilung der Ausgaben bis hin zu den Gemeinden festgelegt wird, während wir hier noch darüber diskutieren, ob wir eine Verschuldungsregel im Grundgesetz oder in der Landesverfassung festlegen wollen.

Deshalb glaube ich, dass sehr viel mehr Ernsthaftigkeit notwendig sein wird. Wir haben eine gewaltige Aufgabe vor uns. Ich weiß nicht, ob jeder bereits die Dimensionen überschaut hat. Ich bin auch davon überzeugt: Wir werden diese Aufgabe nur gemeinsam lösen, nicht gegeneinander.

(Beifall bei CDU und FDP)